Man muss nicht wiederholen, was Frau Bandion-Ortner öffentlich äußerte; es sind diese unsagbaren Worte zur Genüge kolportiert worden. Nun wurde berichtet, Frau Bandion-Ortner würde in Bälde wieder als Richterin im Straflandesgericht Wien ihren Dienst antreten; das allfällige Disziplinarverfahren habe darauf keinen Einfluss.

Vertrauen und Ansehen

Welchen Ausgang ein derartiges Verfahren auch immer nehmen mag - gemeinhin nicht bekannt ist, was der Maßstab eines derartigen Verfahrens ist, dass nämlich Richter und Staatsanwälte sich "im und außer Dienst so zu verhalten (haben), dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände nicht gefährdet wird" (§ 57 Abs. 3 Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz RStDG).

Es ist offensichtlich, dass der eine Teil dieser Verpflichtung, nämlich das Vertrauen in die Rechtspflege nicht zu gefährden, keine mit den Erfordernissen eines Rechtsstaates verträgliche Verhaltensanforderung darstellt - allzu unbestimmt ist dieses Postulat.

"... im und außer Dienst"

Ganz anders stellt sich die Sache aber dar, wenn es darum geht, das Verhalten von Richterinnen und Richtern daraufhin zu prüfen, ob sie "im und außer Dienst" das Ansehen der Richterschaft gefährden. Diese berufsständische Disziplinarvorschrift (die sich vergleichbar auch im Disziplinarstatut anderer Berufsgruppen findet) gibt dem betroffenen Stand die Möglichkeit, unbeeinflusst von äußeren Vorgaben in einem ständigen Prozess der Selbstüberwachung dasjenige Bild von sich selbst zu schaffen, das notwendig ist, um gegenüber dem Publikum als vertrauenswürdig zu erscheinen.

Mit anderen Worten: nur dann, wenn diese Selbstüberwachung (und manchmal auch: Selbstreinigung) selbstbestimmt, glaubhaft und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar realisiert wird, ist die von der Richterschaft zu Recht in Anspruch genommene Unabhängigkeit und die damit zusammenhängende Forderung nach Vertrauen in ihre Tätigkeit gerechtfertigt.

Oder nochmals anders: Wenn es ein Stand nicht schafft, alle seine Mitglieder effektiv daraufhin zu verpflichten, die Gefährdung seines Ansehens zu vermeiden, dann dürfte er für sich auch nicht in Anspruch nehmen, öffentliche Anerkennung und Vertrauen zu erhalten.

Gewiss gibt es immer wieder strittige Fragen - und es liegt in der Natur der Sache, dass es hier Grauzonen und mitunter auch geschmäcklerische Unwägbarkeiten gibt. Dennoch sollte sich die Richterschaft nicht scheuen, hier (weiterhin) deutlich Stellung zu beziehen.

Es hat gewiss etwas Missliches, wenn ein Rechtsanwalt sich in genuin richterliche Belange einmengt; besser wäre es, wenn das nicht notwendig wäre. Welche Anforderungen nämlich an die Richterschaft gestellt werden, um das Vertrauen in die Rechtspflege sicherzustellen, und durch welches Verhalten das Ansehen der Richterinnen und Richter gefährdet wird, das hat ausschließlich die Justiz selbstständig zu beurteilen.

Als Staatsbürger gesprochen

Aber als jemand, der schon in die Diskussion um die sogenannte Welser Erklärung (in der die österreichischen Richterinnen und Richter festlegten, sich "in ihrem Handeln von folgenden ethischen Grundsätzen leiten zu lassen") eingebunden war und der sich unlängst erst im Rahmen der "Kirchberger Gespräche" vor Richterinnen und Richtern Gedanken über die Unabhängigkeit der Justiz gemacht hat (vgl. Richter-Zeitung 2015, S. 6 ff.), nehme ich für mich in Anspruch, von meiner Profession als Anwalt kurz abzusehen und mich schlicht als einer der vielen Staatsbürger der Republik Österreich zu äußern: Es wäre eine arge Schande für diese Republik, wenn Frau Bandion-Ortner umstandslos ihrer Tätigkeit wieder nachkommen dürfte - und es wäre ein Schlag ins Gesicht jener Richterinnen und Richter, die sich durch ihre tägliche Arbeit erfolgreich bemühen, das Ansehen der Richterschaft in diesem Lande hochzuhalten. (Alfred J. Noll, DER STANDARD, 26.1.2015)