An das Arbeitsessen in Bologna muss er heute noch denken. Den Hummer und den Sekt, den der Chef aus Japan auffahren ließ, und den argwöhnischen Blick der deutschen Touristen am Nebentisch, die in ihren Tellern mit der Gabel Spaghetti drehten. Woher er denn komme, wollten die Deutschen wissen. Griechenland, sagte Nikos Papageorgiou. "Aha", sagte die deutsche Dame, "Sie wissen, dass ich Ihr Essen finanziere?"

Das ist Papageorgious Lieblingswitz zur Krise. Ansonsten lief es nicht ganz so lustig für den Athener Unternehmer in den letzten Jahren. Und jetzt geht es wieder auf die politische Achterbahn, schneller als geplant. Nächste Woche schon könnte die radikale Linke regieren und den Sparkurs umdrehen. Ihren Sieg bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag sagen alle Umfragen voraus. Papageorgiou nimmt es hin.

Für die Regierungen der Sparkursjahre hat er wenig Sympathien; und noch weniger für Griechenlands Kreditgeber, deren Pochen auf Steuererhöhungen und Gehaltskürzungen die griechische Wirtschaft an die Wand gefahren habe. "Es war alles verkehrt", sagt er.

Rezession kündigt sich an

Papageorgiou hat auch einmal ein eigenes Unternehmen gehabt: Einrichtungen für Friseursalons, Produktion wie Import. Die Rezession hat er als Erster zu spüren bekommen. Vier Millionen Euro Umsatz habe er 2007 noch gemacht, dann ging es bergab. 2010, als die griechische Regierung ihren ersten Milliardenhilfskredit aufnahm, sperrte er zu. Keiner brauchte mehr neue Friseursessel.

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Armenhaus Griechenland: 25 Prozent Arbeitslose, ein Viertel der Wirtschaftsleistung verschwunden.
Foto: AP/Giannakouris

Papageorgiou, ein Schrank von einem Mann, wurde Handelsvertreter in Europa für einen japanischen Unternehmer. Den mit dem Hummer in Bologna, gleiche Branche. "Ich mache seit 20 Jahren nichts anderes. Friseursalons ausstatten ist mein Geschäft", sagt er.

Friseursalons sind die Chiffre der griechischen Wirtschaftskrise. Ebenso wie die vielen Kleinhändler, Cafés und Imbissstuben, die während der guten Jahre von 1996 bis 2007 in Griechenland aus dem Boden schossen: das Versprechen vom schnellen Geld und von der eigenen Existenz; volkswirtschaftlich wenig produktiv jedoch und keine feste Burg in Zeiten der Rezession.

Geändert hat sich daran nicht viel: Rund 18.000 neue Unternehmen sind im vergangenen Jahr in Griechenland gegründet worden, so hat das Statistikamt aufgelistet. Neun von zehn dieser Unternehmen sind Ich-AGs oder haben einen einzigen Angestellten. 160.000 neue Jobs sind immerhin entstanden. Doch knapp die Hälfte aller Unternehmen im Land ist im Handel und Restaurantgewerbe tätig. Produziert wird weiter wenig, Innovatives noch weniger, die Arbeitslosigkeit steht bei 25 Prozent. Griechenland dreht sich im Kreis. Und nun kommt Syriza, die Koalition der Radikalen Linken.

Ramponierte Mittelklasse

"Es ist gut, wenn sie kommt", sagt eine Frau, eine Lehrerin, bevor sie weiterhastet, "dann geht das hier endlich alles zu Ende. Die Europäer müssen ihre Augen öffnen und sehen, was hier in Griechenland wirklich passiert ist." Eine Viertelstunde Volksbefragung an einer Straßenkreuzung in Pangrati, einem Viertel der ramponierten Mittelklasse in Athen, nicht weit vom Amtssitz des Regierungs- und des Staatschefs, ergibt satte 80 Prozent für die Linke. Die Leute wollen den Wandel, zumindest hier. "Ich werde auf keinen Fall die Parteien wählen, die jetzt regieren", sagt Konstantina, eine 29-jährige Frau. "Die ganze Familie macht das so", erklärt sie, "schlimmer kann es nicht mehr werden." Dann überlegt sie einen Moment: "Nein, das Schlimmste haben wir schon hinter uns."

500 Euro im Monat verdient Konstantina als Angestellte in einer Firma, etwas weniger noch als der eigentlich gesetzlich garantierte Mindestlohn. Es reicht für Miete und eine Woche Essen, sofern man nicht weiter bei den Eltern lebt. Und es ist ihr Krisenjob, sozusagen. Seit 2011 hat sie ihn, als die Arbeitslosenrate auf die 20-Prozent-Marke zumarschierte und die Troika der Kreditgeber von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds festlegte, was ein U-Bahn-Ticket in Athen künftig kosten muss.

Unsolidarische Gesellschaft

Auf Konstantina folgt Christos, der Bäckerbursche, mit Ringen unter den Augen. 14 Stunden Arbeit sind es heute geworden, kurz nach Mitternacht hat er angefangen. "Ich bin sehr traurig, dass ich in diesem Land lebe, so wie es jetzt geworden ist", sagt der 18-Jährige. Bei den Europawahlen im vergangenen Mai, seinen ersten Wahlen, gab er einen leeren Stimmzettel ab. Jetzt überlegt er noch. "Es ist nicht so wichtig, welche Partei wir wählen", sagt er, "wichtiger ist, was wir als Gesellschaft machen. Wir sind eine Gesellschaft geworden, in der man sich untereinander nicht mehr hilft." Dann erzählt er von seinen Freunden, die in den Cafés sitzen und auf 2000-Euro-Jobs warten, die nicht kommen. Christos verdient 900 im Monat, kein freies Wochenende. Es ist wenig, aber es ist das, was man in Griechenland bekommen kann, wenn man sich ins Zeug legt.

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Wahlurnen für den Sonntag werden in eine Athener Schule transportiert.
Foto: APA/EPA/Panagiotou

Natürlich gibt es Unternehmen, die der Krise trotzen. Biokosmetikfirmen, die für das Ausland produzieren, die griechische Handelsflotte mit ihren 1859 Schiffen und den Reedern, die in London sitzen; oder Jumbo, die große Billigkette für Spiel- und Haushaltswaren. Jumbo meldete zu Monatsbeginn seine Verkaufszahlen für 2014: 7,7 Prozent plus oder 341 Millionen Euro Umsatz in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres. Doch das Plus haben die Filialen in den Nachbarländern gemacht; in Griechenland stagnierte der Absatz. Die politische Unsicherheit habe den Aufwärtstrend von Anfang 2014 wieder gebremst, sagen die Manager.

Blackbox Syriza

Syriza ist eine Blackbox für die Unternehmer, für die Wähler, wahrscheinlich auch für die Parteimitglieder selbst: linke Diskussionszirkel-Profis, die jahrelang über die Transformation des Kapitalismus nachdachten, vier Prozent bei Wahlen erhielten und nun plötzlich vor der Tür zur Macht stehen. Was wirklich geschieht, wenn Alexis Tsipras Sonntagnacht als designierter griechischer Premier feststeht, weiß niemand wirklich zu sagen.

Nur dass das Spar-Rezept nicht funktioniert hat, darin sind sich die Griechen einig. 226,7 Milliarden Euro haben die Kreditgeber bisher nach Griechenland gepumpt. Das meiste für Schuldentilgung. Nur elf Prozent der Hilfe waren tatsächlich für die Alimentierung des griechischen Staatsbetriebs - für Gehälter, Pensionen und für Fantasieausgaben wie den Hummer in Bologna, das vermeintliche Spesengelage auf Kosten der deutschen Steuerzahler. (DER STANDARD, 24.1.2015)