Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ist nach eigener Einschätzung jenes Regierungsmitglied, das dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP am positivsten gegenübersteht. Und auf dem Podium, auf das er als Wissenschafts- und Wirtschaftsminister am Dienstagnachmittag in die Akademie der Wissenschaften geladen hat, ist er der leidenschaftlichste Befürworter. Mehrheitsfähig ist das im Saal wohl nicht: Unter den 300 Gästen überwiegen die Kritiker des Abkommens - und diese spenden den Kritikern auf dem Podium auch entsprechend Applaus.

Düsteres Bild

Dem Arbeiterkammerpräsidenten Rudolf Kaske zum Beispiel. Der zeichnet ein düsteres Bild vom künftigen Handel mit den USA: 430.000 bis eine Million Arbeitsplätze würden in Europa verlagert werden oder verloren gehen, die Importe nach Europa würden stärker wachsen als die Exporte - und der Beitrag des Abkommens zum Wirtschaftswachstum würde wohl nur 0,2 bis 0,5 Prozent betragen. Österreich und die EU brauchten aber zwei Prozent.

Das kann Kommissarin Cecilia Malström, der Stargast auf dem von Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid moderierten Podium, nicht unwidersprochen lassen: 0,5 Prozent BIP-Wachstum seien doch eine ganze Menge - und schon jetzt gebe es 85.000 österreichische Arbeitsplätze, die vom Export in die USA abhängen. Das würden wohl mehr werden, wenn das Freihandelsabkommen in Kraft tritt.

Und das würden nicht irgendwelche Studien belegen, sondern die Erfahrung, die Europa (und Österreich) mit anderen Freihandelsabkommen, etwa mit Südkorea abgeschlossen hat, bringt Mitterlehner in die Diskussion ein: Da sei sogar 0,6 Prozent Beitrag zum BIP dazugekommen.

Mühlviertler Wursterzeuger als Beispiel

Unter anderem eine Folge von einheitlichen Standards - beziehungsweise der Anerkennung von Standards, die beim jeweiligen Handelspartner gelten, sagt Mitterlehner und unterlegt es mit dem Beispiel eines Mühlviertler Wursterzeugers, der für die Anerkennung seiner Produkte in den USA eine Million Euro an Gebühren zu erlegen hatte.

In den Augen der Gegner ist aber TTIP kein Instrument der Klein- und Mittelbetriebe, sondern der Konzerne. Alexander Egit, Sprecher von Greenpeace und der schärfste TTIP-Kritiker in der Diskussionsrunde hat es auch nicht auf die Standards abgesehen (das besorgt in der Publikumsdiskussion verlässlich der alternative Wirtschaftswissenschaftler Christian Felber), sondern auf den angestrebten Investitionsschutz, der vor Schiedsgerichten verhandelt werden soll. Egit nennt diese Schiedsgerichte "Privatgerichte", spricht von einer explosionsartigen Vermehrung der Klagen durch eine "Klagsindustrie" und beziffert die durchschnittlichen Verfahrenskosten mit acht Millionen Dollar. Das könne sich doch kein mittelständisches Unternehmen leisten.

Einspruch, sagt die Unternehmerin und Industrievertreterin Karin Exner-Wöhrer: Europa brauche fairen Handel, der Investitionsschutz sei für sie als Investor ein wichtiger Punkt. Und Mitterlehner ergänzt: Es seien eben gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die in der Vergangenheit die Schiedsgerichte angerufen haben. Egit gibt nicht auf: Er meint, dass TTIP politisch nicht durchzubringen wäre, wenn man auf den Schiedsgerichten beharre. Stattdessen solle man einen internationalen Gerichtshof schaffen. Von dem ist aber weit und breit noch nichts zu sehen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 21.1.2015)