Eva Constantaras: "Ich glaube, dass Afrika interessant ist, weil Mobiltelefone und Smartphones für viele Menschen der primäre Weg sind, online zu gehen. Die Smartphone-Nutzung explodiert sprichwörtlich, besonders unter jungen Menschen. Viele verwenden den Internetzugang auf ihren Telefonen aber vor allem für soziale Netzwerke und viel seltener, um Nachrichten zu lesen."

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derStandard.at: Sie sind als Beraterin für Datenjournalismus tätig – womit beschäftigen Sie sich im Moment?

Constantaras: Mein Fokus liegt darauf, Datenjournalismus und Open-Data-Bewegungen in Ländern zu etablieren, in denen diese die Qualität der verfügbaren Informationen deutlich verbessern können. Journalisten spielen eine Schlüsselrolle im Informationsfluss – sie helfen der Bevölkerung, an Politik teilzunehmen und Entscheidungen zu beeinflussen.

Unser Ziel ist es, durch Datenjournalismus evidenzbasierte Entscheidungen auf Regierungs- und Verwaltungsebene zu erreichen. Wir wollen sicherstellen, dass Journalisten wissen, wie sie Geschichten erzählen können und Menschen wirklich erlauben, bessere Entscheidungen zu fällen und so wiederum Druck auf ihre Regierungen auszuüben, rationalere Entscheidungen zu treffen, die sich an den Bedürfnissen der Bürger orientieren und im Sinne der Öffentlichkeit Ungleichheiten verringern.

Wir arbeiten in Ländern, die noch keine lange demokratische Tradition haben. Datenjournalismus hilft uns, Bürgern mehr Teilhabe an der Politik zu ermöglichen.

derStandard.at: Sie stärken die Rolle der Medien als Akteur in der modernen Demokratie?

Constantaras: Genau, wir sehen in vielen Ländern in Afrika Initiativen, die Regierungen und Regierungsdaten öffnen sollen. Jedoch gibt es wenig Fortschritt, wenn es darum geht, die Brücke zwischen Regierungen und Bevölkerung zu schlagen. Wir glauben, Datenjournalismus ist ein guter Weg, da Menschen in diesen Ländern noch immer zu herkömmlichen Medien greifen, um an Information zu kommen. Sie verwenden keine Apps und sehen auch nicht direkt auf Regierungswebseiten nach, um Information zu bekommen oder sich einzubringen.

Für uns sind Journalisten Vermittler, die trockene, langweilige Daten mit der Bevölkerung verbinden können. Die Fragen, die wir stellen: Wie kann ich eine Geschichte darüber erzählen, wie ein Problem meine Gemeinschaft betrifft, seien es sanitäre Probleme oder Zugang zu Anti-Retroviraler Therapie in Gegenden mit hoher HIV-Rate? Wie kann ich nicht nur die Daten präsentieren, sondern den Lesern helfen, die Auswirkungen zu verstehen, indem ich Daten mit Geschichten von Betroffenen verbinde? Hier treffen Daten auf traditionellen Journalismus und ermöglichen bessere, überzeugendere Geschichten.

In den Regionen Afrikas, in denen ich arbeite, herrscht eine starke Tradition von mündlicher Überlieferung. Wir haben gelernt, dass Menschen Zusammenhänge besser verstehen, wenn wir es schaffen, eine ausdrucksvolle Geschichte um die Daten zu erzählen.

derStandard.at: Neben der Tradition der mündlichen Überlieferung – wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen Medien in Europa und in Afrika?

Constantaras: Hier hören die Menschen noch viel mehr Radio. Viele Programme sind stark als Konversationen gestaltet, und es geht weniger oft um direkte Vermittlung von Information. Aber auch Zeitungen werden anders gelesen. In Kenia zum Beispiel setzen sich Menschen noch immer hin und lesen die gesamte Zeitung durch. Taxifahrer tun es, wenn sie auf Fahrgäste warten, Haushaltshilfen in ihren Pausen. Es ist ein Vorteil für uns, dass eine Tradition gibt, herkömmliche Medien zu konsumieren – es geht nur darum, die Qualität der Inhalte zu verbessern.

Im Westen hingegen kämpfen Journalisten online um die Aufmerksamkeit von Lesern, die von einem Medium zum nächsten wechseln, von Facebook zu Twitter und wieder zurück. Es ist schwer sicherzustellen, dass Leser den ganzen Artikel durchlesen und an qualitativ hochwertige Nachrichten kommen. In Afrika nehmen sich die Menschen noch Zeit für die ganze Geschichte.

derStandard.at: Beeinflusst das die Art, wie Geschichten geschrieben werden?

Constantaras: Ich denke schon. Wenn wir Kandidaten für unsere Workshops und Trainings für digitalen Journalismus suchen, schauen wir nicht auf die technischen Fähigkeiten. Uns ist egal, ob jemand keine Ahnung von Blogs hat oder noch nie mit Excel gearbeitet hat.

Wir suchen Menschen, die gute Geschichten schreiben können. Die wissen, wie sie Ursachen auf den Grund gehen, verschiedene Aspekte einer Geschichte zeigen und unterschiedliche Perspektiven verbinden. Das sind die, die motiviert sind, längere Geschichten zu erzählen, die in die Tiefe gehen.

Technologie ist hier zweitrangig – man kann sie lernen, besonders wenn in Teams gearbeitet wird. Uns geht es darum, Journalisten zu finden, die tiefgründige, ergreifende Inhalte produzieren wollen.

derStanard.at: Sie haben schon erwähnt, dass das Radio eine wichtige Informationsquelle ist. Gleichzeitig steigen in den meisten Ländern in Afrika die Auflagen der Zeitungen. Welche Rolle spielt Online und digitaler Journalismus?

Constantaras: Ich glaube, dass Afrika hier interessant ist, weil Mobiltelefone und Smartphones für viele Menschen der primäre Weg sind, online zu gehen. Die Smartphone-Nutzung explodiert sprichwörtlich, besonders unter jungen Menschen. Viele verwenden den Internetzugang auf ihren Telefonen aber vor allem für soziale Netzwerke und viel seltener, um Nachrichten zu lesen.

Aber wir haben da ein klassisches Henne-Ei-Problem: Die Webseiten der meisten Medienhäuser sind sehr einfach. Oft sind die Artikel nur Kopien der Inhalte aus der Zeitung oder Zusammenfassungen von Fernsehsendungen. Die Nachrichtenplattformen sind nicht besonders dynamisch, ansprechend oder interaktiv.

Deshalb ist es schwer zu sagen, ob Menschen Nachrichten nicht online lesen, weil es kein Angebot gibt, oder ob es nicht ihre Art ist, Medien zu konsumieren. Sie besitzen zwar ein Smartphone, aber kaufen weiterhin die Zeitung und lesen sie.

Wir befinden uns an einem interessanten Punkt: Medienmanager und Herausgeber sehen die Fehler, die im Westen gemacht worden sind, und wollen sie nicht wiederholen. Zugleich steigt die Internetnutzung rapide.

Die meisten Menschen verwenden keine Computer oder Tablets, um auf das Internet zuzugreifen, sondern billige chinesische Smartphones, die oft nicht sehr leistungsstark sind. Das macht es für Medien schwer, in Mobilentwicklung zu investieren, und wir sehen deswegen nicht viele mobilen Inhalte. Medienhäuser und Manager haben großes Interesse an der digitalen Transformation, und auch junge Journalisten wollen mit digitalen Medien, Multimediaproduktion und Datenvisualisierungen umgehen lernen. Aber sie stoßen auf eine Wand – Chefredaktionen und Redakteure in leitenden Positionen, die sehr stark blockieren. Zum Teil, weil sie nicht wissen, was die Zukunft der digitalen Medien bringen wird. Sie zögern, in digitale Entwicklung zu investieren oder sicherzugehen, dass ihre Webseiten mit interaktiven und dynamischen Inhalten umgehen können.

Viele Medien versuchen nicht, sich neu zu erfinden. Veränderung passiert sehr langsam und wird vor allem von den jungen Journalisten getragen, die neue Inhalte verwenden wollen und manchmal den Raum dafür bekommen. Aber es ist ein Prozess, der Zeit braucht.

derStandard.at: Wie sehen Eigentümerstrukturen in Afrika aus? Sind Medienunternehmen eher unabhängig oder sind sie stark von anderen Geschäftsinteressen abhängig?

Constantaras: Wir haben eine Menge Medienkonglomerate, die Fernseh-, Radiostationen und Zeitungen besitzen und eine klare, einheitliche redaktionelle Ausrichtung haben. Dabei ist das Problem, dass oft Geschäftsinteressen dahinterstehen.

Ich kann mich an einen Workshop an der Küste Kenias erinnern, in dem eine Gruppe von Journalisten eine wunderbare Studie fand, in der sexuelle Übergriffe auf Frauen in einer bestimmten Universität untersucht wurden. Wir hatten eine wirklich gute Geschichte. Ein Journalist nach dem anderen sagte jedoch: Diese Universität wirbt in unserer Zeitung, in unserem Radio. Am Ende wurde die Geschichte nie veröffentlicht – aus Angst, der Werbekunde könnte verlorengehen.

Wir erlebten auch Druck auf Redaktionen, wo Regierungsmitglieder bei Redakteuren anriefen und sich beschwerten, dass Kritik an ihnen veröffentlicht wurde. Es gibt viele Interessen von Firmen oder Politikern, die Anteile großer Medienunternehmen besitzen.

derStandard.at: Zurück zu den Journalisten: Wie beeinflusst die Verlagerung von Radio und Zeitungen in Richtung World Wide Web ihre Rolle?

Constantaras: Interessanterweise haben technisch versierte Journalisten in Afrika traditionellen Medien noch nicht den Rücken zugekehrt. In vielen Teilen der Welt gründen die besten Journalisten ihre eigenen Start-ups – Projekte wie Plaza Pública in Guatemala, VerdadAbierta in Kolumbien, IndiaSpend in Indien und so weiter. Sie haben die traditionellen Medien aufgegeben und machen ihre eigenen investigativen, digitalen Online-Angebote.

Ich sehe das kritisch, denn damit spricht eine kleine elitäre Gruppe von Journalisten mit einer elitären Gruppe jener der Gesellschaft, die Internetverbindungen haben und ihre Webseite kennen. Außer in Südafrika passiert das in Afrika noch nicht. Wir sehen leidenschaftlich motivierte, digital versierte Journalisten, die versuchen, in traditionellen Medien Fuß zu fassen. Sie versuchen, die trägen etablierten Medien mehr und mehr dazu zu bringen, Innovationen zuzulassen. Ich denke, das ist richtig spannend. Und sie wollen mehr Menschen erreichen – statt nur eine einflussreiche Elite in den Hauptstädten.

derStandard.at: Wie, denken Sie, werden sich die Medien in den nächsten 20 Jahren verändern? Wohin bewegen sich Medien in Afrika?

Constantaras: In Afrika steigt die Anzahl der Menschen mit Zugang zum Internet rasant. Ich denke, die Transformation wird hier schnell vor sich gehen, da versucht wird, aus den Fehlern westlicher Medien zu lernen.

Mehr und mehr Medienhäuser stellen nun Social-Media- und Community-Experten ein und bemühen sich, die dort stattfindende Kommunikation zu berücksichtigen. Nachrichten verbreiten sich noch immer sehr stark dadurch, dass Menschen miteinander reden, Zeitungen weitergeben. Diese Konversation verlagert sich immer stärker ins Netz. Menschen lesen Nachrichten und diskutieren sie dann auf Facebook oder Twitter.

Ich glaube, es kann eine bessere Integration dieser Aspekte geben, wenn Medien sie als Chance begreifen. (Michael Bauer, DerStandard.at, 26.1.2015)