Als ob die Spice Girls wiederauferstanden wären: Die schwedische Musikerin Elliphant macht vor, wie man heute in der Großstadt auszuschauen hat.

Foto: Elliphant

Schuh-Reality-Check in der Wiener U-Bahn: Die Schülerin in enger Stonewashed-Jeans und mit Fake-Fur-Jacke setzt auf White-Trash-Ironie - sie trägt weiße Nike Air Force 1. Die Oma neben dem hippen Teenager vertraut auf ein klassisches Adidas-Modell, der Typ im Anzug ist stolz auf seine bunten Nike Flyknit Lunar, und ein junger Mann mit Bart und Jutebeutel liebt seine New-Balance-Sneakers.

Nicht dass Wien plötzlich Trendsetter in Sachen Schuhmode wäre, aber eines wird sogar im heimischen Alltag deutlich: Sneakers sind omnipräsent. Jeder trägt sie, vom Kleinkind bis zum Rentner, quer durch alle sozialen Schichten und Orte. Sogar auf den Laufstegen der exklusivsten Modehäuser, die über Streetwear vor ein paar Jahren noch die Nasen gerümpft hatten, waren High Heels plötzlich out. Karl Lagerfeld zog Model Cara Delevingne sogar zu einem sündteuren Chanel-Hochzeitskleid Turnschuhe an.

Sportkleidung war der Megatrend 2014, darin sind sich sämtliche Modemagazine in ihren Rückblicken einig. Und so schnell wird uns die Sportbegeisterung auch nicht verlassen. Alexander Wang gab für H&M vor, wie man heutzutage in der Großstadt auszusehen hat: wie eine Art Sport-Batman in schwarzem Neopren, minimalistisch und düster. Ganz nach dem Vorbild des futuristischen Sport-Fetisch-Trends Health Goth. Die Gesundheitsgruftis sind Fitness-Freaks, achten penibel auf ihre Ernährung und schauen dabei wie Science-Fiction-Ninjas aus. In schwedischen Musikvideos darf es hingegen etwas bunter zugehen, alle fashionaffinen weiblichen Popstars sehen gerade aus, als wären die Spice Girls wiederauferstanden: bauchfrei, Sport-BH und Adidas-Trainingsanzug (coolstes Beispiel: Elliphant ft. MØ: "One More").

Lifestyle als Zugpferd

Für Sportmarken sind lukrative Zeiten angebrochen: Dabei machen die klassischen Sportmarken wie der US-Marktführer Nike, sein deutscher Kontrahent Adidas, der ewig Zweite in dem Geschäft, und die weiter abgeschlagene ebenfalls deutsche Marke Puma, ihr Hauptgeschäft noch immer über Sport-Marketing. Welche Fußballer, welche Basketballstars tragen welche Labels? Um auf die Dauer erfolgreich zu sein, wird es aber immer wichtiger, auch beim Lifestyle-Segment am Puls der Zeit zu bleiben. "Allgemein galt bisher der Vergleich: Nike ist Apple, Adidas ist Nokia", sagt Turnschuhexperte Stefan Häckel, CEO von Vice Österreich und Mitinitiator der Messe Sneakerness. "Nike ist nach wie vor die technologischste Marke bei Sneakers, sie steht glaubwürdig für Innovation."

Adidas hingegen verschlief die Flyknit-Technik, und Puma traf überhaupt grundlegend falsche Entscheidungen. "Puma setzte konsequent auf die 1970er-Jahre, obwohl die 1990er-Jahre in wurden, man brachte aus dem großen Puma-Archiv einfach die falschen Modelle wieder auf den Markt", analysiert Häckel. Puma hat in den letzten Jahren viel investiert, um seine Marktstellung zu verbessern, aber dabei große Verluste eingefahren. 2013 brach der Umsatz um 8,7 Prozent ein. Jüngst hat Puma Popdiva und Fashion-Ikone Rihanna als Chefdesignerin gewonnen. Nicht nur die New York Times belächelte diese Entscheidung, schließlich sind Werbeträger und tatsächlicher kreativer Kopf, der grundlegende Designfähigkeiten mitbringen sollte, zwei Paar Schuhe. Es wird ohnehin schon länger gemunkelt, dass Puma, zum Konzern Kering gehörig, demnächst verkauft werden soll.

Einmal mehr findet der Bitch-Fight also zwischen dem US-Giganten mit dem Swoosh (Umsatz Nike 2013: 20,7 Milliarden Euro) und dem deutschen Herausforderer Adidas (Umsatz 2013: 14,5 Milliarden Euro) statt. Gerade geht der Kampf in eine neue Runde. "Nike laufen die Designer weg", titelte das GQ-Magazin vor ein paar Wochen. Adidas hatte seinem Konkurrenten drei namhafte Designer abgeworben. Nike klagt seine übergelaufenen Mitarbeiter auf stolze 8,4 Millionen Euro.

Kooperationen mit Popstars

2014 war zumindest ästhetisch das Jahr von Adidas. Während man die letzten Jahre das Gefühl hatte, Adidas kopiert bloß, was Nike schon bereits vorher erfunden hatte, bewiesen die Deutschen mit Modellen wie dem Tubular Runner und dem ZX Flux, wie sehr sie ästhetisch am Puls der Zeit sein können. "Auch mit der Zusammenarbeit mit dem Musiker Pharrell Williams, der den Klassiker Stan Smith neu interpretierte, hat Adidas ins Schwarze getroffen", so Häckel. Und, ein weiterer Schlag gegen Nike: Der als schwierig, aber modebesessen bekannte Rapper Kanye West wechselte von Nike zu Adidas, wo er demnächst seinen sündteuren Kultschuh Yeezy 3 vorlegen wird.

Adidas setzte früh auf Kooperationen mit Mode- und Popstars. Die klobig-futuristischen Schuhe von Raf Simons oder Rick Owens bringen im Massenverkauf zwar keinen fetten Gewinn, aber sie verpassen Adidas ein cooles Image.

Adidas musste seine Gewinnprognosen im Vorjahr trotzdem nach unten revidieren, das liegt an massiven Problemen am russischen Markt, aber auch zu einem guten Teil an der US-Tochter Reebok, deren Fitness-Image nur ansatzweise funktionierte. An Reebok wird deutlich: Es geht nicht, ein bisschen da und ein bisschen dort mitmischen zu wollen, man muss seine Zielgruppe genau kennen. Man muss Nischen finden und sie beinhart besetzen.

Revival von New Balance

Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Revival von New Balance-Sneakers: Die Marke setzt auf Handarbeit in den USA und in England, es erscheinen kaum neue Produkte, lediglich die Materialien werden verfeinert, die Farben verändert. Man bleibt klassisch, hochpreisig, qualitätsvoll und grenzt sich so von anderen Anbietern ab. New Balance hat den Sprung von der "Nazi-Marke", einem Image gegen das die Firma konsequent angekämpft hatte, zum universalen Hipster-Label geschafft.

Nike bleibt auch heuer Marktführer. Die Marke verzeichnet am westeuropäischen Markt enormen Aufschwung (um 32 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro). Das merkt man auch in der Wiener U-Bahn, wo gefühlte 70 Prozent der Turnschuhträger auf Nike setzen. Die Marke hat bereits den nächsten Schachzug angekündigt: Die ACG-Linie (All Conditions Gear), 1989 auf den Outdoor-Markt gebracht, soll wieder aktiviert werden.

Funktionskleidung hat den urbanen Raum erobert. Wir fahren ins Büro, sehen dabei aber aus, als ob wir gleich den Mount Everest besteigen wollten. Die Frage ist, wer die ewig gleichen Funktionsjacken und Wanderschuhe in Zukunft hipper aussehen lassen wird. Aufschlag Nike. Wie wird Adidas antworten? (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 23.1.2015)