Überzeugt in Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" an der Grazer Oper als Victorin: Taylan Reinhardt.

Foto: Sepp Gallauer

Graz - Im März 1931 wurde Die tote Stadt in Graz erstmals aufgeführt. Die dritte Oper des jungen Erich Wolfgang Korngold war seit ihrer Uraufführung gut zehn Jahre davor ein durchschlagender Erfolg, der vom Vater (und anonymen Librettisten), Musikkritiker Julius Korngold, sorgsam gesteuert wurde. In der NS-Diktatur totgeschwiegen und nach 1945 - mit Ausnahme des "Opernschlagers" Glück, das mir verblieb - wenig geschätzt, erlebte das Werk in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Renaissance, in die sich nun auch Graz mit einer vom Premierenpublikum begeistert aufgenommenen Produktion einfügt.

Dirigent Dirk Kaftan und Regisseur Johannes Erath setzen auf eine vielschichtige Interpretation, die vor allem auch dem Filmkomponisten Korngold Tribut zollt. Bereits die Partitur des 23-Jährigen verrät die musikalische Formensprache, die den späteren Emigranten zum preisgekrönten Filmmusikkomponisten in Hollywood machen, allerdings auch seine Rezeption im Nachkriegsösterreich verzögern sollte. Kaftan streicht mit dem Grazer Philharmonischen Orchester die große Geste der Filmmusik heraus, eine effektvolle, luxuriöse Linie, die die Sänger, durchwegs Rollendebütanten, oft erdrückt und mitunter undifferenziert wirkt.

Auch die Handlung (sie beruht auf dem Stoff eines Romans und späteren Dramas des belgischen Symbolisten Georges Rodenbach) hat cineastische Qualitäten. Paul verliert sich in Erinnerungen an seine verstorbene Frau, der er im morbiden Brügge eine "Kathedrale des Gewesenen" errichtet, die für die Tänzerin Marietta zur tödlichen Falle wird. Paul erdrosselt sie mit einer Haarsträhne der Verstorbenen, in der Oper ist alles nur ein Traum.

Regisseur Johannes Erath legt einige Schichten übereinander. Brügge, bereits vor Venedig Ikone der Morbidität, liefert den ästhetischen Rahmen. Freuds Psychoanalyse, seine Traumdeutung und Fetischismustheorie begründen das Verhalten des Protagonisten. Unzählige Anspielungen auf Filme von Nosferatu bis Der Tod in Venedig legen ein Netz von Interpretationsmöglichkeiten. Im Wasser der Grachten spiegelt sich eine surreale Welt wider. Das komplexe Bühnengeschehen und die schwelgerische Musik kontrastiert Herbert Murauer mit sachlichem Innenraum und eleganten Kostümen der 1950er-Jahre und wählt damit auch einen stimmigen Rahmen für bürgerliche Obsessionen und die Traumwelt des großen Kinos. Sich blähende Vorhänge, eine monumentale zentrale Treppe, spiegelndes Glas und spiegelndes Wasser halten die Motivstränge zusammen.

Hausfrau, Heilige, Hure

Die drei weiblichen Figuren der Oper - Brigitta, Maries Erscheinung und Marietta - erscheinen als unterschiedliche Funktionen einer Frau. Die Projektion Hausfrau, Heilige und Hure geht auf. Die religiöse Symbolik in Rodenbachs Roman, die Korngold mit Glockenklang und Kinderchor effektvoll nützte, wird auch von Erath weiterentwickelt. Mariens Erscheinung, in der sie Treue über den Tod hinaus fordert, erzwingt die Parallele zur Muttergottes. Bei der Heiligblutprozession am Himmelfahrtstag geißelt sich ein Flagellant mit den roten Haaren.

Im Mittelpunkt steht die enorm aufgewertete Figur der Brigitta, die hier als Ehefrau hofft und leidet und von Dshamilja Kaiser mit Hingabe interpretiert wird. Wortdeutlich und strahlend verkörpert Gal James als Marietta das Leben selbst. Auch Taylan Reinhardt (Victorin) und Manuel von Senden (Graf Albert) punkteten mit schauspielerischer Präsenz. (Beate Frakele, DER STANDARD, 20.1.2015)