Wer macht sich eigentlich in Österreich für Ehe und Familie stark? Die katholische Kirche, vor allem mit der Laienorganisation Katholischer Familienverband. Und die ÖVP, die den kirchlich gebundenen Wählern gefällig sein will. Obwohl sich das Familienbild der ÖVP in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat: Wiederverheirateten Geschiedenen mag die heilige Kommunion verwehrt werden - nicht aber eine Karriere in der Volkspartei. Auch Schwule sind in der christlich-sozialen Partei in hohe Ämter gekommen - wobei hilfreich war, wenn sie ihr Privatleben nicht öffentlich ausgebreitet haben.

Schon vor über 40 Jahren fand sich im Salzburger Parteiprogramm die Formulierung: "Die ÖVP anerkennt das Recht der jungen Menschen, neue Modelle des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erproben."

Nur wo es konkret wird, hakt es.

Diese Woche etwa: Als der Verfassungsgerichtshof festgestellt hat, dass es keinen Grund gebe, gleichgeschlechtlichen Paaren das Adoptionsrecht zu verwehren, reagierten die Exponenten der Volkspartei schmallippig. Sie akzeptiere das Erkenntnis der Verfassungsrichter, sagte etwa Familienministerin Sophie Karmasin - ja was denn sonst? Ah ja, man kann sich über die Verfassungsrichter auch hinwegsetzen, wie es ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm angedeutet hat: Als Nationalratsabgeordnete überlegt sie, der Korrektur des Gesetzes nicht zuzustimmen.

Und Klubchef Reinhold Lopatka will bei der am Sonntag beginnenden Klubklausur erst einmal intern beraten, wie man denn künftig vorgehen sollte.

Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass es sich um ein Minderheitenprogramm handelt: Die große Mehrheit der Kinder in Österreich lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit beiden leiblichen Eltern - also in einer Familie, wie sie tradierten Rollenbildern entspricht. Zudem gibt es Familien mit alleinerziehenden Müttern (seltener: Vätern) sowie Patchworkfamilien. Sehr selten sind Familien, in denen gleichgeschlechtliche Paare mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben - soweit man weiß, ohne irgendwelche Probleme. Nach dem VfGH-Erkenntnis wird es vielleicht auch einmal gleichgeschlechtliche Paare geben, die ein fremdes Kind adoptieren - falls es überhaupt genügend zur Adoption freigegebene Kinder gibt. Denn es gibt viel mehr Paare, die sich ein Adoptivkind wünschen, als Adoptivkinder.

Aber in der politischen Diskussion geht es weniger um die Sachfragen als um Symbole: Das bisherige Adoptionsverbot ist eine der verbliebenen rechtlichen Diskriminierungen, die für Homosexuelle noch gelten - was einerseits einen beachtlichen Fortschritt gegenüber den frühen 70er-Jahren darstellt, als Schwulen noch Gefängnisstrafen drohten, was aber andererseits umso deutlicher macht, dass die verbliebenen Diskriminierungen ungerecht sind.

Menschen, die aus Liebe (oder Pragmatismus) zusammengefunden haben, sollten unabhängig von ihrem Geschlecht vor den Standesbeamten treten können, um sich das Ja-Wort zu geben und eine Familie zu gründen - vor einem Priester können Homosexuelle sowieso keine Ehe schließen, aber das braucht die Politik nicht zu kümmern. Sie hat sich um das Wohl der Familien zu kümmern. Nochmal: Wer macht sich für Ehe und Familie stark? Nicht zuletzt sind es die homosexuellen Paare, die Eheleute und Familie sein wollen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 17.1.2015)