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Pelargonium sidoides: keine Zier-, sondern eine Heilpflanze.

Foto: Carol Casselden / Science Photo Library/picturedesk.com

Die Blätter der Pflanzenart Pelargonium sidoides sind samtig und wirken vertraut, wachsen ganz ähnliche Pflanzen doch in vielen Blumenkästen auf dem Balkon. Und in der Tat ist P. sidoides nah mit den als Zierpflanzen so beliebten Geranien verwandt. Die Art ist im südlichen Afrika beheimatet.

Sie gedeiht dort vor allem im offenen Grasland, sogar in Höhen von mehr als 2000 Metern. Ihre Wurzeln sind stark verzweigt und reichen tief in das Erdreich hinein - vermutlich eine Schutzmaßnahme gegen Feldbrände und gelegentliche Frosteinbrüche. Wenn die überirdischen Teile zerstört sind, treibt die Pflanze von unten meist wieder aus.

Traditionelle Medizin

Die Wurzelstöcke von P. sidoides sind überaus begehrt. Mehrere südafrikanische Stämme nutzen sie seit Jahrhunderten als traditionelles Heilmittel gegen Atemwegs- und Darmerkrankungen. Das blieb auch den Europäern nicht verborgen.

Noch vor dem Ersten Weltkrieg bringt der englische Geschäftsmann Charles Henry Stevens ein Präparat namens Umckaloabo auf den Markt, welches als Mittel gegen Tuberkulose eingesetzt werden soll. Die Wirksamkeit des Medikaments wird unter Medizinern kontrovers diskutiert. Manche bezeichnen Stevens sogar als Quacksalber, andere wiederum, wie der Schweizer Arzt Adrien Sechehaye, melden tatsächlich Behandlungserfolge.

Der deutschen Pharmakologin Sabine Bladt gelingt es 1974, die Inhaltsstoffe des Wurzelextrakts von P. sidoides zu identifizieren. Ab da setzt langsam, aber sicher die systematische Erforschung des Heilmittels ein. In den Neunzigern kommt zudem vor allem in Deutschland die Vermarktung in Fahrt.

Karriere einer Pflanze

Erste Studien weisen derweil auf eine Wirksamkeit des Präparats bei Bronchitis und Erkältungen hin, sowohl gegen Viren als auch gegen Bakterien. 2005 wird der Extrakt offiziell vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn als pflanzliches Medikament lizenziert. Die Nachfrage ist seitdem ständig weiter angestiegen. Ein echter Verkaufshit.

Inspiriert von den vorliegenden Beobachtungen haben Experten des Helmholtz-Zentrums München die Wirkung von P.-sidoides-Wurzelauszügen gegen HIV-1 getestet. Die Forscher brachten Aids-Erreger aus verschiedenen Stämmen mit Blutzellen in Kontakt und gaben die Pflanzenextrakte hinzu.

Die Infektionsfähigkeit der Viren nahm mit zunehmender Wirkstoffkonzentration dramatisch ab. Sie waren nicht mehr in der Lage, ihre Wirtszellen anzugreifen (vgl. PLoS One, Bd. 9, e87487). "Wir gehen davon aus, dass sich Inhaltsstoffe der Pflanzenextrakte an die Hüllen der Viren binden und somit die Viren daran hindern, mit den Zellen in Kontakt zu treten", erklärt Studienleiterin Ruth Brack-Werner.

Die Erreger wären dann außerstande, die Zellmembran von Blutkörperchen zu durchdringen. Wahrscheinlich sind sekundäre Pflanzenstoffe, sogenannte Polyphenole, für die antivirale Wirkung von P.-sidoides-Extrakten verantwortlich.

Beeindruckende Ergebnisse

Die Existenz solcher biochemischer Mechanismen weisen auch die 2012 publizierten Untersuchungsergebnisse zweier luxemburgischer Wissenschafter nach. Sie testeten das pflanzliche Präparat gegen verschiedene Grippeviren-Stämme, sowohl in Zellkulturen wie auch in infizierten Mäusen. Der Erfolg war beeindruckend.

Der Extrakt ist in Kulturen demnach in der Lage, die Vermehrung der Erreger ab bestimmten Konzentrationen vollständig zu unterbinden (vgl. Antiviral Research, Bd. 94, S. 147). Je früher die Wirkstoffe eingesetzt werden, desto besser.

Anscheinend blockieren die Polyphenole nicht nur das Anheften der Viren an ihre Wirtszellen, sondern auch die Aktivität des Enzyms Neuraminidase. Letzteres dient zum Aufbrechen der Zellmembran, wodurch die Erreger eindringen oder, nach erfolgter Reproduktion, wieder ausschwärmen können.

Durch die Nase

Die Luxemburger beobachteten auch einen seltsamen Zusatzaspekt. Bei infizierten Mäusen zeigte der P.-sidoides-Extrakt nur dann Wirkung, wenn es als Aerosol zum Einatmen verabreicht wurde. Oral eingenommen nutzte es nicht. Vermutlich kann ein Teil der verschiedenen Polyphenole besser direkt über die Schleimhäute der Atemwege aufgenommen werden - ohne den Umweg über Mund und Magen-Darm-Trakt. Als Spray ist das Präparat allerdings noch nicht auf dem Markt.

Ruth Brack-Werner und ihre Kollegen hoffen, die sekundären Pflanzenstoffe aus P. sidoides zukünftig gezielt zur Behandlung von HIV-Infizierten einsetzen zu können. Die Präparate wären einfach zu produzieren und böten deshalb gerade in unterentwickelten Regionen eine sinnvolle Alternative beziehungsweise Ergänzung zu herkömmlichen, antiretroviralen Medikamenten. Eventuell wäre auch eine prophylaktische Verwendung, zum Beispiel als Bestandteil von Vaginalgelen, möglich, meint sie. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 17./18.1.2015)