Stainer-Hämmerle: Bei Programmen für die Bewusstseinsbildung sollte darauf geachtet werden, was als erstrebenswert dargestellt wird.

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STANDARD: Gleichstellung per Gesetz durchzusetzen steht bei keiner Partei hoch im Kurs (Nachlese: Frauenpolitik 2015 - Gesund, informiert und ein bisschen gefördert). Ist dieses Vorgehen den Parteien zu kontrovers?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Die gesetzliche Gleichstellung war vor allem ein Kampf der 1970er-Jahre. Daher gibt es heute gesetzlich verankerte Diskriminierung von Frauen nicht mehr. Heute geht es um eine Bevorzugung von Frauen per Gesetz durch positive Diskriminierung, etwa mit dem Instrument der Quote. Das ist weitaus schwieriger zu argumentieren.

STANDARD: Warum? Dass Frauen in verschiedenen Bereichen unterrepräsentiert sind, auch in der Politik, ist eine Tatsache.

Stainer-Hämmerle: Es gibt zwei Ansätze. Entweder fordere ich ein Ideal für beide Geschlechter, wie es zum Beispiel die SPÖ macht: Für sie heißt Gleichstellungspolitik Integration in den Arbeitsmarkt. Für eine traditionelle Arbeiterpartei ist ein erfülltes Leben nur mit einem Fulltimejob vorstellbar. ÖVP und auch FPÖ geht es hingegen darum, dass das Hausfrauen- und Mutterdasein den gleichen Stellenwert hat wie die männliche Erwerbsarbeit. Diese ideologische Differenz wird sich nie auflösen. Es kann daher keinen Konsens darüber geben, was überhaupt das Ziel der Gleichstellung sein soll.

Ein großes Problem liegt daher auch in der großen Koalition, die sich bei allen Themen blockiert, wo es Lösungsansätze gibt, die ideologisch begründet sind: bei der Steuerpolitik, der Frauenpolitik und der Bildungspolitik. Angesichts dieser Bereiche wäre eine Regierung links der Mitte oder rechts der Mitte sicher entscheidungs- und konsensfähiger, sowohl bei den Zielen als auch bei den Instrumenten.

STANDARD: Vereinbarkeit von Kindern und Beruf gilt als Frauensache. Ist das ein Teil des Problems?

Stainer-Hämmerle: Es fällt auf, dass Frauenpolitikerinnen oft familienpolitische Themen aufgreifen. Geht es um Elternschaft oder Familie, sollte das meines Erachtens nicht als Frauenpolitik verkauft werden. Das zeugt von einem bestimmten Verständnis: Frauen sind vor allem ein Teil der Familie und für Kinderbetreuung zuständig. Wenn in einem Parteiprogramm die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter "Frauen" angeführt ist, halte ich das für rückschrittlich.

STANDARD: Für welche Parteien gehören Familien- und Frauenpolitik noch zusammen?

Stainer-Hämmerle: Auf die Trennung dieser Bereiche achten vor allem die Grünen. Der SPÖ passiert es noch hin und wieder, dass Familie und Frauen in einen Topf geworfen werden, während das die FPÖ ganz bewusst macht. An dieser Verbindung lässt sich das in der Partei vorherrschende Frauenbild am raschesten erkennen.

STANDARD: Worauf muss eine Parteien achten, wenn sie Frauenpolitik konzipiert?

Stainer-Hämmerle: Eine Partei muss sich fragen, ob und welche Frauen in ihrer Wählerschaft eine Rolle spielen. Die FPÖ hat zum Beispiel einen deutlich geringeren Anteil an jungen Wählerinnen als etwa die Grünen. Für die Strategie sind neben der Altersgruppe die jeweiligen Lebensentwürfe entscheidend: Sie entsprechen eher der traditionellen Rollenzuschreibung oder einem emanzipierten Verständnis. Und schließlich hat Frauenpolitik nicht für alle Frauen einen wichtigen Stellenwert in der Wahlentscheidung.

STANDARD: Welche Instrumente erachten Sie für sinnvoll?

Stainer-Hämmerle: Die Quote ist sicher das stärkste Instrument, das die Politik zur Verfügung hat. Man kann aber ohne einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung nichts erzwingen. Die offensichtliche Behinderung und Ungleichbehandlung von Frauen ist vorbei, heute geht es eher um die weichen Faktoren, und die sind schwer in ein Gesetz zu gießen. Ein neues gesellschaftliches Bewusstsein lässt sich nicht gesetzlich verordnen.

STANDARD: Das heißt, dass die SPÖ mit ihren vielen Bewusstseinskampagnen, Stichwort "Frauen in die Technik", schon richtig liegt?

Stainer-Hämmerle: Ja – wobei ich auch warnen würde. Denn wenn man sagt: "Frauen in die Technik", heißt das so viel wie: Technik als männlich dominiertes Berufsfeld ist besser. Gleichstellung ist erst erreicht, wenn es heißt: junge Männer in die Kindergärten oder Volksschulen. Entscheidend ist, was als erstrebenswert dargestellt wird. Wenn das Männerkarrieren und Männerberufe sind, ist die Ungleichgewichtung von Frauen- und Männerberufen offenkundig noch vorhanden.

STANDARD: Deutschland tut sich mit der positiven Diskriminierung per Gesetz offenbar leichter. 2014 wurde eine Frauenquote für Aufsichtsräte beschlossen, jetzt spricht Frauenministerin Manuela Schwesig von einem "Entgeltgleichheitsgesetz".

Stainer-Hämmerle: Mit Angela Merkel hat die CDU bereits vor mehr als zehn Jahren die Kompetenz bei Frauenagenden der SPD weggenommen. Merkel kann überdies als Rolemodel Frauen ansprechen. Daher ist die CDU heute zu mehr Aktivität bereit als die ÖVP. Und Deutschland ist generell nicht so konservativ wie Österreich. Das zeigt sich an Frauen in Positionen wie Kanzlerin oder Verteidigungsministerin, an viel mehr Politikerinnen und Politikern mit Migrationshintergrund oder auch an einem homosexuellen Außenminister und Bürgermeistern, die es bereits gab. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 19.1.2015)