Bern - Die Schweizerische Nationalbank kapituliert vor dem Finanzmarkt: So könnte man die Entscheidung der SNB interpretieren, den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken nicht länger verteidigen zu wollen. Den Mindestkurs hatte die SNB im September 2011 eingeführt, als der Schweizer Franken zeitweilig gleich teuer wie der Euro war. Export und Tourismus litten darunter, dass für die europäischen Nachbarn Schweizer Waren und Urlaub in der Schweiz immer teurer wurden. Mit dem Mindestkurs konnte sich die Wirtschaft auf die neue Situation einstellen.

Die massive Verteuerung des Franken bis zum September 2011 hatte vor allem eine Ursache: die Eurokrise. Anleger betrachteten den Franken als sichere Währung und kauften immer stärker zu.

Die Eurokrise hat sich zuletzt entspannt, aber noch lange nicht gelöst. Warum also gibt die SNB ihre Eurobindung auf?

Der Vorsitzende der Nationalbank, Thomas Jordan, begründete die Maßnahme mit den Kursentwicklungen und divergierenden Geldpolitiken in den USA und Europa. Der Euro habe gegenüber dem US-Dollar deutlich abgewertet, wodurch sich auch der Franken gegen den Dollar abgeschwächt habe. Vor diesem Hintergrund sei die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt sei.

Enorme Interventionen

Aufgrund der Euroschwäche hatte die Nationalbank verstärkt an den Devisenmärkten intervenieren müssen, um den Mindestkurs zu verteidigen. Allein im Dezember 2014 kaufte die SNB Devisen für 30 Milliarden Franken zu; Ende 2014 erreichten die Fremdwährungsreserven der SNB den Rekordstand von 500 Milliarden, fast doppelt so hoch wie 2011. Das heißt, die SNB konnte den einströmenden Devisenfluss nicht aufhalten. Deshalb dürfte sie sich entschlossen haben, die Grenze zum Euro gleich aufzugeben. Die aufgeblähte Bilanz wurde zudem auch für die Notenbank riskant, weshalb Marktbeobachtern klar war, dass die SNB den Mindestkurs nicht auf Dauer würde halten können.

In der Schweiz fallen die Reaktionen auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses harsch aus. Die Wirtschaftspublikation Cash-Online etwa fragt, "welcher Teufel die SNB geritten hat", zu dieser Maßnahme zu greifen. Diese trage alle Züge einer Panikreaktion der Schweizer Währungshüter. Der Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, Rudolf Misch, warnte vor dramatischen Folgen für die Realwirtschaft: "Das betrifft nicht nur die Exportindustrie, die unter der Aufwertung des Frankens zu leiden haben wird, sondern auch die Binnenwirtschaft." Man werde billigere Importe und dadurch zusätzliche Konkurrenz haben.

Beim Einzelhandels-Riesen Migros befürchtet man, dass nun noch mehr Schweizer ins Ausland einkaufen gehen werden. Und der Gewerkschaftsbund SGB ließ mitteilen, der Entscheid der SNB gefährde Löhne und Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft massiv und erhöhe die Deflationsgefahr in der Schweiz. (Klaus Bonanomi aus Bern, DER STANDARD, 16.1.2015)