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Preisgekrönt und ausgebuht. Nickelback gelten als Inbegriff des Uncoolen, als opportunistische Dienstleister im Mainstreamrock.

Foto: REUTERS/Lucy Nicholson

Musik ist Geschmackssache. Dass man darüber nicht streiten kann, lernen schon die Kinder, aber bis sie groß sind, haben das die meisten vergessen. Dann wird wieder diskutiert und gestritten – aber selten über Nickelback. Bei der Band ist sich eine große Mehrheit einig: Nickelback sind scheiße. Dabei haben sie mehr als 50 Millionen Platten verkauft.

Erfolg, heißt es, macht sexy. Doch Nickelback scheinen nicht in den Genuss dieser Prophezeiung zu kommen. In einer im Netz kursierenden Liste von Stars, mit denen frau auf keinen Fall Sex haben möchte, stehen die vier Nickelbacker seit Jahren ganz oben. Nicht einmal der Spruch "Viel Feind, viel Ehr" trifft auf sie zu.

Ablehnung ist schick

Zwar werden viele erfolgreiche Bands und ihre Protagonisten zu Feindbildern stilisiert – Bono von U2, Chris Martin von Coldplay, Michael Stipe von R.E.M. und andere mehr. Doch die Abneigung gegen Nickelback ist ein globales Phänomen, eine Art denunziatorischer Selbstläufer mit umgekehrten Vorzeichen: Nickelback abzulehnen ist schick.

Der Schulterschluss an dieser Front reicht von seriösen Medien wie dem britischen Guardian, der Sänger Chad Kroeger 2008 zum "Trottel des Jahres" ernannte, über Musikerkollegen, Satiriker bis zu geifernden Bloggern. Der US-amerikanische Rolling Stone wählt die Band regelmäßig in die Top drei der schlechtesten Bands aller Zeiten. Will man in hippen Kreisen jemanden diskreditieren, dichtet man ihm an, Nickelback zu hören. Nickelback sind eine Chiffre für das Uncoole schlecht und hin.

60.000 Unterschriften

Als die Band 2011 in der US-Stadt Detroit die Halbzeitshow des Thanksgiving-Matches der Detroit Lions bestreiten sollte, organisierte sich eine Gegenbewegung. Mittels Onlinepetition sammelte sie fast 60.000 Unterschriften gegen den Auftritt. Die Motivation der Initiatoren lautete, man wollte verhindern, dass Detroit mit Nickelback assoziiert werde. Sie haben trotzdem gespielt. Aber nur ein Lied, dann sind sie nach Buhrufen abgetreten.

Letzten Herbst formierte sich in England ein Widerstandsnest. Als bekannt wurde, dass die Gruppe im Zuge ihrer kommenden Tournee auf der Insel auftreten würde, bot die Onlineplattform "Dontletnickelback" an, ungastliche Mails an das Nickelback-Management zu übermitteln. Gebühr: ein Dollar. Für mehr Geld wurden Beschimpfungsmails in Aussicht gestellt, für 50 Dollar versprachen die Betreiber, würden sie Nickelback-Musik an Nickelback schicken. "Damit sie sich selbst hören müssen."

Ein heimliches Vergnügen

Und die Nickelback-Fans? Wo und wer sind sie? Sie machen sich rar. Für Nickelback tritt man nicht öffentlich ein, ihre T-Shirts sieht man nicht im Stadtbild, nicht einmal auf einschlägigen Festivals wie dem Nova Rock. Nickelback zu hören ist scheinbar ein "guilty pleasure", ein heimliches Vergnügen. Da sind die Anhänger von Nickelback wie die Wähler der FPÖ: Sie outen sich nicht gerne als Fans.

Vielleicht liegt das gar nicht nur an der Musik. Lässt man diese kurz außer Acht, bleibt immer noch eine Häufung peinlicher Anekdoten, diverse Aussagen und Fernsehauftritte, die nicht dazu angetan sind, das Ansehen des Quartetts zu heben.

Begonnen hat man als Coverband. Dass man sich The Village Idiots nannte, die Dorftrottel, war damals zwar ziemlich sicher ironisch gemeint. Schließlich stammen Kroeger und Co aus dem Kaff Hanna in Alberta. Im Falle von Nickelback erwies sich diese bandhistorische Fußnote aber als Steckschuss im eigenen Knie, an den sie heute noch in jedem zweiten Interview erinnert werden. Das senkt bereits die Mundwinkel, und dann erst die Fragen zu den Anfeindungen.

Im Fettnapf

Ihre Antworten kennzeichnet nicht selten ein säuerlicher Unterton. Verständlich, aber der Sache nicht dienlich. Gleichzeitig versuchen sie, darüberzustehen. "Andere Acts werden auch nicht von allen geliebt", sagen sie. Oder: "Wir werden einfach überall gespielt, das ist manchen Leuten vielleicht zu viel." In den Fettnapf trat Kroeger mit dieser Erklärung: "Man hasst uns, weil wir keine Hipster sind." Das ist insofern originell, da es seit Jahren mindestens ebenso trendig ist, Hipster abzulehnen wie Nickelback.

Kora Becker, die eine deutsche Fansite (www.nbrocks.de) betreibt, kann die Abneigung gegenüber ihrer Lieblingsband nicht nachvollziehen, bleibt aber gelassen. "Das passiert auch anderen Bands." Darüber, dass man Chad Kroeger einmal zum hässlichsten Frontmann aller Zeiten gewählt hat, wundert sie sich eher. "Meines Erachtens gibt es da noch hässlichere Popstars."

Als Nickelback Mitte der 1990er-Jahre auftauchten, galten sie als typische Trittbrettfahrer. In der Goldrauschstimmung nach Grunge nahmen Labels alles und jeden unter Vertrag, die irgendwie in die Erfolgsschablone von Nirvana passten. Je weniger eigenen Willen jemand mitbrachte und je radiofreundlicher man sich zurechtstutzen ließ, desto besser. Rockmusik klang damals so öde wie lange nicht. Es war die Zeit von Bands wie Hootie and the Blowfish, Creed, Hanson, Blind Melon, den Spin Doctors und dutzender anderer Trendsurfer, die ihre Chance auf den schnellen Dollar witterten und nutzten. Die meisten davon sind Geschichte, nicht Nickelback. Bis heute trotzen sie draußen am Trittbrett dem Gegenwind.

Ein Spaniel im Windkanal

Dort sah Chad Kroeger mit seinen blondierten Dauerwellen und einem obligatorischen Klobrillenbart aus wie ein Spaniel im Windkanal. Die anderen drei, Ryan Peake, Mike Kroeger und der später dazugestoßene Daniel Adair, wirken bis heute als wären sie eigentlich Skilehrer oder Fitnessklubrezeptionisten.

All diesen Widrigkeiten zum Trotz gelang ihnen nach Achtungserfolgen in Kanada und den USA 2001 der internationale Durchbruch mit dem Album Silver Side Up. Mit weiteren wie All the Right Reasons oder Dark Horse festigten sie ihren Status, und heute zählen sie zu den am besten verdienenden Live-Acts der letzten 15 Jahre.

Dabei wird ihre Kunst als berechenbar und berechnend eingeschätzt. Der Mann ohne Eigenschaften als Musik. Diese montieren sie aus Versatzstücken der Bereiche Hard-, Alternativerock und Grunge.

"Here's your nickel back."

Nickelback modellieren dabei aus den gefälligsten Merkmalen ihre Songs. Jedes ihrer Alben ist diesbezüglich ein Lehr- und Leerstück zugleich. Chad Kroeger über den Arbeitsansatz seiner Band: "Wenn wir eine Platte aufnehmen, schauen wir, dass für jeden etwas dabei ist." Das ist nicht unbedingt die Haltung eines vor Leidenschaft brennenden Künstlers, sondern die eines Rock-Dienstleisters, der sein Angebot nach der Nachfrage gestaltet.

Kroeger ist als Gründer, Sänger und Gitarrist das Sprachrohr der Band. Er wuchs in einer zerrütteten Familie auf. Nickelback ist die Verwirklichung eines Traums, für den er gestohlen und für den er das Jugendgefängnis von innen kennengelernt hat. Von seinem Stiefvater lieh er sich später 4000 Dollar und investierte sie in die Band. Sein Bruder Mike arbeitete damals bei Starbucks. Aus seinem Wechselgeldmantra "Here’s your nickel back" entstand der Bandname. Der Rest ist, ob man will oder nicht, ein Stück Musikgeschichte.

Seit 2012 ist Chad Kroeger mit dem ebenfalls aus Kanada stammenden Rock-Girl Avril Lavigne verheiratet. Ihre Ehe scheinen die beiden vornehmlich im Frühstücksfernsehen und in Talkshows zu vollziehen. Wobei Gerüchte laut werden, die besagen, die Verbindung sei bereits am Ende. Kroeger in einem Interview über die Ehe als solche: "Für Frauen geht mit der Ehe ein Traum in Erfüllung, für Männer ist sie nur eine Möglichkeit von vielen."

Vergoldete Klischees

Ob privates Glück oder nicht, die Erfolgsgeschichte von Nickelback wird gerade fortgeschrieben. Vor Weihnachten erschien ihr achtes Album No Fixed Address. Es strotzt wieder vor Plattitüden und Klischees, gleichzeitig gilt es als ihr Vielfältigstes. Das bringt ihnen in den Fachmagazinen mit Sternchenvergabe je nach Weltanschauung einen bis dreieinhalb Einträge am Bewertungsfirmament. Also kaum mehr als Durchschnitt.

Doch das reicht, um in über 20 Ländern in die Charts zu kommen, in Österreich auf Platz vier mit Goldstatus. Das Rätsel Nickelback geht also weiter. Am 29. Oktober lässt es sich in der Wiener Stadthalle bestaunen. (Karl Fluch, DER STANDARD, 17./18.1.2015)