Schädel eines europäischen Steppennashorns (Stephanorhinus hemitoechus) aus Weimar-Ehringsdorf.

Foto: T. Korn/Senckenberg Weimar

Weimar - Das heutige afrikanische Spitzmaul-Nashorn ernährt sich bevorzugt von weicher Pflanzenkost, zu seiner Leibspeise gehören Blätter, die es von Ästen und Zweigen abstreift. Das ebenfalls in Afrika beheimatete Breitmaulnashorn dagegen ist vollständig an harte Grasnahrung angepasst. Bei den ausgestorbenen europäischen Nashornarten Stephanorhinus kirchbergensis und Stephanorhinus hemitoechus, auch als Wald- bzw. Steppennashorn bekannt, ging man bisher ebenfalls von einer sehr spezialisierten Diät aus.

Ein internationales Forscherteam um Ralf-Dietrich Kahlke von der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie in Weimar kommt nun zu einem ganz anderen Schluss: "Wir haben die Nahrungsspektren der beiden Nashornarten untersucht und dabei zu unserer Überraschung festgestellt, dass sich die Tiere in Extremsituationen eine beachtliche Flexibilität in ihrer Ernährung bewahrten", so Kahlke.

Aufschlussreiche Zahnabnutzung

Beide Arten entstanden in einer Zeitspanne relativ lang andauernder Warmzeiten, die gute Voraussetzungen für die Entstehung von Nahrungsspezialisten bot. "Wir sind deshalb davon ausgegangen, dass die Tiere eine sehr deutliche Bindung an die Nahrungsressourcen von Wald bzw. Steppe hatten", so der Forscher. Gemeinsam mit Kollegen untersuchte er fossile Nashornzähne von zahlreichen Fundstellen in Deutschland und Großbritannien.

Anhand der Gebisse von über 200 Tieren wurde mit der "Mesowear-Methode" zur Untersuchung der Zahnabnutzung das Nahrungsspektrum der ausgestorbenen Dickhäuter rekonstruiert. Das Ergebnis: Obwohl beide Arten sehr verschiedene Lebensräume bevorzugten - Wald oder Offenland - und auch eine entsprechende Morphologie für eine Nahrungsspezialisierung aufweisen, seien sie grundsätzlich als "mixed feeder" zu kategorisieren: "Sie hatten zwar Präferenzen, konnten aber sowohl weiche Blätterkost als auch harte Gräser zu sich nehmen."

Günstige Überlebensstrategie

Das ursprünglich aus Asien eingewanderte Waldnashorn Stephanorhinus kirchbergensis war größer als alle heutigen Nashörner. Sowohl die Form seines Gebisses als auch die horizontale Kopfhaltung lasse eine Bevorzugung von Nahrung aus Wäldern erkennen, so die Forscher. Das etwas kleinere Steppennashorn Stephanorhinus hemitoechus hingegen hatte eine abgesenkte Schädelhaltung, die auf den vermehrten Verzehr härterer Bodenvegetation hinweise.

Die Wissenschafter schließen daraus, dass die ausgestorbenen Nashörner bei vielfältigem Nahrungsangebot zwar ihre Präferenzen hatten, bei eintönigem Angebot aber flexibel waren. Diese Überlebensstrategie - trotz Spezialisierung die Fähigkeiten zur Nahrungsumstellung beizubehalten - sei damit in dieser Deutlichkeit erstmals für eine Großsäugetiergruppe des Eiszeitalters nachgewiesen worden. "Dies bedeutet auch, dass eine Fundstelle mit vielen Waldnashörnern nicht zwangsläufig auf eine waldreiche Umgebung schließen lässt", so Kahlke. (red, derStandard.at.at, 16.1.2015)