Es gibt etwas, das Sie, werte Leserinnen und Leser, und ich gemeinsam haben. Wir teilen es nicht nur mit allen Menschen, die auf diesem Planeten leben, gelebt haben und leben werden, sondern auch mit Gott, Allah, Jehova, Vishnu, Mohammed, Jesus, Moses und Buddha: Wir alle sind Witzfiguren.

Eine Selbstverständlichkeit, die mancherorts erst mit Verspätung als solche erkannt wird. "Die Anhänger Mohammeds offensiv mit Satirischem zu verletzen - das tut man einfach nicht", schrieb zum Beispiel Georg Hoffman-Ostenhof vor zwei Jahren im Profil über Charlie Hebdo, während er diese Woche das Satireblatt mit Lob überschüttet, weil es "seit je den religiösen und politischen Autoritäten den Stinkefinger zeigt". Dazu verblüfft er mit dem Befund "Charlie Hebdo transportiert das, was heute als Gutmenschentum abgetan wird" sowie seiner Anerkennung der spontanen Solidarität René Goscinnys. Ein echtes Wunder, zumal Goscinny vor über 37 Jahren verstorben ist.

Weitaus weniger erstaunlich die Reaktion der Kronen Zeitung. Zunächst kommentierte der aufgrund seiner unfreiwilligen Komik oft für nicht real gehaltene Leserbriefschreiber Franz Weinpolter - als Stimme des kleinen Mannes darf er allein schon für die bloße Menge seiner in Reimform gegossenen Ignoranz-Preziosen den Ehrentitel "Österreichs kleinster Mann" tragen - die Morde von Paris mit "Meinungsfreiheit nur allein kann kein Grund für Schmähung sein". Dann geißelte Kurt Seinitz - die journalistische Inkarnation des Prinzips "Herr Karl als Außenpolitiker" - die "völlig entfesselte Polemik" der Pariser Satiriker gegen "alle religiösen Autoritäten".

Noch erwartbarer waren wohl nur die Relativierungen aus dem Parteiumfeld des türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Dort, wo auch die Idee eines öffentlichen Lach-Verbots für Frauen geboren wurde, liegt aber möglicherweise ein Schlüssel zum Verständnis von Satire-Debatten im Allgemeinen. Seit Jahren lässt Erdogan ihm nicht genehme Karikaturisten von der türkischen Justiz verfolgen. Der jüngste Prozess wegen einer Zeichnung zur Verstrickung des Präsidenten in einen monströsen Korruptionsskandal ist noch nicht beendet. Dabei geht es nicht um verletzte Gefühle, sondern um die Angst vor Autoritätsverlust durch Entlarvung und Lächerlichmachung.

"Die Freunde bei Charlie mussten sich Sorgen machen über Angriffe radikaler Islamisten. Wir müssen uns Sorgen machen über Angriffe unserer eigenen Regierung", sagt Tuncay Akgün von der türkischen Satirezeitung Leman. Wer also ein aktuelles Zeichen der Solidarität setzen möchte, kann dies auch durch Verbreitung oder Kreation neuer Erdogan-Cartoons tun.

Dabei kann man dem Spirit Charlie Hebdos Reverenz erweisen, indem man beherzigt, dass abseits von analytischer Schärfe die wirkungsvollsten und vom Gegner am meisten gefürchteten Treffer oft jene sind, die unter der Gürtellinie angesetzt werden. So gesehen darf die satirische Entlarvung von Korruption, Menschenrechtsverletzung und Machtmissbrauch also durchaus mit Spekulationen über den Zusammenhang von Protzsucht bei Palastbauten mit der Kompensation phallischer Unterbestückung kombiniert werden. (Florian Scheuba, DER STANDARD, 15.1.2015)