Die US-amerikanische Kurzgeschichtenmeisterin Lydia Davis beobachtet kleine Dinge (Tiefkühlerbsen) - und große Tiere (Kühe).


Foto: David Ignaszewski

Wien - Ein Mann macht in seinem Schuppen hinter dem Haus Würste. Würste darf man aber nicht dazu sagen. Es handelt sich um Salamis. Eines Tages wird eingebrochen, und die Salamis werden gestohlen. Die Presse berichtet vom Wurstdiebstahl. Der Mann freut sich, dass über ihn etwas in der Zeitung steht, bemängelt aber, dass in der Zeitung Würste steht. Es handelt sich um Salamis.

Lydia Davis eröffnet ihren neuesten Kurzgeschichtenband Kanns nicht und wills nicht nicht gerade mit der Hollywood-Maxime: Starte mit einem Knall und steigere dich dann. Es wird in diesen oft nicht mehr als eine halbe Seite benötigenden Storys auch nicht viel aufregender werden.

Die 1947 in Massachusetts geborene und heute in der Nähe New Yorks lebende US-Autorin übersetzte zwar in der Vergangenheit französische Plaudertaschen wie Gustave Flaubert oder Marcel Proust ins Amerikanische, mit Ausnahme ihres Romans Das Ende der Geschichte (1994) kann man den Großteil dieses über die Jahrzehnte bis zur Essenz destillierten Werks allerdings lesen wie Kurzmeldungen in der Presse. Dabei ist Davis zwar dem Skizzenhaften, der Allegorie hinein ins Nichts konsequent verpflichtet, allerdings verzichtet sie im Gegensatz zum mit ihr durchaus vergleichbaren Kurzgeschichtenkollegen Raymond Carver nicht auf verbale Beilagen wie Adjektive. Auf leseauffällige Pointen wird man bei der Lektüre allerdings lange warten müssen.

Davis interpretiert nicht, um Gottes willen. Das wäre nicht fein. Neugier findet am besten ihren Auslauf diskret. Besonders gut gelingt ihr das in der üppig über 16 Seiten angelegten Geschichte Die Kühe. In dieser beobachtet sie von ihrem Fenster aus mit einem durch eine Hecke eingeschränktem Gesichtsfeld drei auf der Nachbarwiese weidende Kühe.

Schalk im Nacken

Mit kühler Präzision und dem Schalk im Nacken geht es mit den Kühen durch die Jahreszeiten, das Grasen und Koten und Muhen erweisen sich als Handlungshöhepunkte. Meistens, speziell in der kalten Jahreszeit, wenn es nichts zu grasen gibt, stehen sie einfach da: "Sie treten hinter dem Stall hervor, als würde gleich etwas passieren, und dann passiert nichts."

Man mag das für trivial halten. Leider aber besteht nun einmal das Leben, das wir zu führen haben, nicht aus Pointen, sich zuspitzenden dramatischen Höhepunkten oder zumindest lustigen Hoppalas. Wenn wir auf einer Wiese stehen, und es schneit auf uns drauf, und wir schauen so dahin, dann unterscheiden wir uns nur wenig von den Kühen, die, wenn es auf sie draufschneit, einfach dastehen und so dahinschauen. Was in uns und in den Kühen innerlich für ein Film läuft, kann niemand sagen. Lydia Davis fragt aber auch nicht danach.

Für diese Meisterschaft in Lakonie muss man entweder sehr dumm oder sehr weise sein. Vermuten wir Letzteres. Und vermuten wir auch, dass innerlich große Kämpfe wüten, die sie aus ihrem nahezu buddhistischen Gleichmut herauszureißen drohen.

In Brief an einen Tiefkühlerbsen-Produzenten etwa beklagt ein gesellschaftlich imaginiertes Wir bei selbigem eine große Tragödie unserer Zeit. Es geht um das Missverhältnis zwischen Verpackungshülle und -inhalt. Hier und auch in anderen in diesem Band versammelten brieflichen Beschwerden und Anregungen geht Davis äußerst spitzfindig vor.

Immerhin beschweren sich die hier Unterzeichnenden nicht darüber, dass die Erbsen etwa nichts taugen würden. Es geht ihnen darum, dass die Erbsen auf der Verpackung viel blasser abgebildet seien, als sie dann im realen satten Erbsengrün aus dem Sack kullern würden. Hier schade sich der Produzent schließlich selbst. Da müsse man kein Betriebswirt sein.

Beklemmend aktuell auch die Geschichte einer Fischliebhaberin, die in Restaurants immer die Liste gefährdeter Fische mitnimmt, um schließlich doch zu essen, was sie will. Wenn das Gewissen erst einmal schlecht ist, folgen Taten ja vielleicht bald nach. Antworten verweigert Lydia Davis. Hier noch eine Anregung namens Haushaltsführungskontrolle in voller Länge: "Unter alldem Schmutz ist der Boden wirklich sauber." (Christian Schachinger, DER STANDARD, 15.1.2015)