Die europäischen Grünen haben im EU-Parlament in Straßburg erfolgreich einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu Steuerdumping und Begünstigung von Steuerflüchtlingen in einzelnen Mitgliedsstaaten durchgebracht. Mittwochnachmittag haben sie die dafür laut Geschäftsordnung nötige Zahl an Unterstützungserklärungen durch EU-Abgeordnete gesammelt. Das bestätigten die EU-Abgeordneten Sven Giegold und Michel Reimon.

Ein Viertel aller Mandatare – 188, die grüne Fraktion besteht aus 50 Mandataren – müssen einen entsprechenden Antrag einreichen, damit es zur Einleitung des Zulassungsverfahrens kommen kann. Anlass der Initiative waren Enthüllungen über die Steuerpraxis in Luxemburg unter dem damaligen Premierminister Jean-Claude Juncker, aber auch in anderen Staaten wie Irland oder den Niederlanden durch Medien, die sogenannte Luxleaks-Affäre.

Diese Sache wird bereits von der EU-Kommission und einer Expertengruppe des Wirtschaftsausschusses im Parlament überprüft. Die Regierungen der betroffenen Staaten betonten, dass auf Basis nationalen Rechts gehandelt worden sei und EU-Regelungen dabei nicht verletzt worden seien.

Rechtliche und formale Hürden

Ob der Untersuchungsausschuss zu Luxleaks je kommt, ist aber dennoch unsicher. Die Sammlung der Unterschriften war nur die erste Hürde zur Zulassung, der noch weitere rechtliche und formale folgen, insbesondere aber muss ein Antrag am Ende von einer Mehrheit der Abgeordneten im Plenum des EU-Parlaments beschlossen werden. Diesbezügliche Versuche hatte es bereits Ende 2014 gegeben, aber eine Mehrheit – vor allem aus Volkspartei, Sozialdemokraten und Liberalen – hatte einen U-Ausschuss abgelehnt und befunden, dass eine Prüfung im Econ-Ausschuss ausreiche.

Rechtsexperten im EU-Parlament wenden ein, dass der Antrag der Grünen bereits an formalen Voraussetzungen scheitern könnte. Zum einen sieht die Geschäftsordnung vor, dass U-Ausschüsse in einem Prüfungsfall ruhen müssen, sobald eine andere EU-Institution wie die Kommission oder der Gerichtshof diesen bereits untersucht. Dies könnte der Fall sein, da die Wettbewerbsbehörde der Kommission unter Margrethe Vestager die Vorkommnisse in Luxemburg und den Niederlanden wie in Irland bereits unter die Lupe nimmt. Eine andere Hürde ist, dass Steuerangelegenheiten nur in sehr geringer Form vom EU-Recht erfasst sind und in der Regel in die nationale Kompetenz fallen.

Das Parlament hat nur Konsultationsrecht. U-Ausschüsse des Europäischen Parlaments dürfen auch nur konkrete Verstöße gegen EU-Recht prüfen. Die Entscheidung, ob der Antrag überhaupt ins Plenum zur Abstimmung weitergeleitet wird, trifft das Parlamentspräsidium, dem neben Präsident Martin Schulz die Fraktionschefs angehören.

Giegold, einer der Hauptinitiatoren, sagte in einer Pressekonferenz mit dem Fraktionschef Lamberts aus Belgien, er rechne fix damit, dass das Präsidium den Antrag am Donnerstag genehmigt. Möglicherweise wird er aber zuerst für eine juristische Prüfung durch den Rechtsdienst des Parlaments geschickt, eine Abstimmung im Präsidium später vorgenommen. Die Grünen sind auch bereit, ihren Prüfungsauftrag zu ändern, wenn das nötig sein sollte.

Versäumnisse bei der Wettbewerbsprüfung

Dementsprechend vage ist auch der Text im Antrag der Grünen formuliert, der sehr allgemein eine Prüfung der Steuerpraxis in der Union verlangt. Es solle auch geprüft werden, inwieweit die EU-Kommission in früheren Jahren Versäumnisse bei der Wettbewerbsprüfung wegen ungerechter Steuervorteile in einzelnen Ländern zu verantworten hat. Das Wort Luxemburg oder andere Länder kommen in dem Antrag nicht vor. Auch von Juncker, dessen Rücktritt wegen der "Tax Rulings" (der Vorabsteuervereinbarungen mit Konzernen) die Grünen vor Wochen vehement forderten, ist keine Rede.

Giegold begründete dies damit, dass es den Antragstellern nicht darum gehe, einzelne Länder vorzuführen, insbesondere nicht die kleinen. Seine Fraktion wolle vielmehr aufzeigen, dass alle EU-Staaten bzw. die Regierungen bewusst seit Jahrzehnten eine ungerechte und unsoziale Steuerpolitik betrieben. Damit verstießen sie nach seiner Auffassung gegen das im EU-Vertrag grundsätzlich verankerte Gebot zur loyalen Kooperation. Stattdessen hätten sie aggressiven Steuerwettbewerb begünstigt. Das EU-Parlament werde mit dem U-Ausschuss erstmals seit 30 Jahren eine Rolle in Steuerangelegenheiten spielen, erklärte der deutsche Grüne.

Ob das Präsidium dieser Argumentation folgen wird, ist offen. Der juristische Dienst dürfte auf die Notwendigkeit einer stärkeren Einschränkung des Untersuchungsmandats auf konkrete Verfehlungen hinweisen, so wie die Geschäftsordnung für U-Ausschüsse das vorsieht. Diese Art des Ausschusses ist schließlich die schärfste "Waffe" der Parlamentarier, sie können auch Einsicht in Akten verlangen und Zeugen vorladen.

Die Grünen zeigen sich optimistisch, dass sie bis zur Plenarabstimmung erfolgreich sein werden. Laut Giegold wurde der Antrag von ihren Experten eingehend auf Plausibilität und Übereinstimmung mit den EU-Regularien geprüft. Sie haben Unterschriften aus allen Fraktionen gesammelt, mit Ausnahme der EU-Skeptiker-Fraktion um den Briten Nigel Farage und der fraktionslosen Rechts-außen-Abgeordneten rund um Front-National-Chefin Marine Le Pen. Deren Unterstützung wollten sie nicht, betonte Reimon. (Thomas Mayer, derStandard.at, 14.1.2015)