Vor ihrer Forscherkarriere war Ursula Azizi-Semrad als Profi-Balletttänzerin tätig.

Foto: privat

Was haben Ballett und Medizin gemeinsam? Ursula Azizi-Semrad muss es wissen, hat sie doch vor dem Medizinstudium selbst eine Profi-Tanzkarriere mit Stationen in London, New York, München und Köln verfolgt. Für sie ist es die Faszination des Körpers und seiner Funktionsweisen. Zudem bedarf sowohl das Tanzen wie auch die Medizin des Lernens von Bewegungsabläufen, einer guten Beobachtungsgabe und analytischen Denkens.

Eine Knieverletzung mit Mitte zwanzig brachte Azizi-Semrad auf die Idee, dass sie selbst eine gute Ärztin werden könnte. Sie nutzte die operationsbedingte Zwangspause zur Inskription an der Medizinischen Universität Wien und finanzierte sich diesen Bildungsweg anfangs mit Unterricht und Choreografien. Der endgültige Abschied vom Tanz war zwar schmerzlich für sie, "aber ich war in der glücklichen Lage, nahtlos etwas Neues zu machen, das mich ebenso faszinierte", sagt die 39-jährige Wienerin.

Gegenstand ihres Interesses sind vor allem die sogenannten T-Zellen. Es handelt sich dabei um weiße Blutzellen, die der Immunabwehr dienen. Das T steht für das Organ, in dem die Zellen ausreifen, der Thymus. Dieser ist Teil des Abwehrsystems gegen Krankheitserreger und krankhaft veränderte Körperbestandteile.

Nach dem Rigorosum begann Azizi-Semrad sofort als Praktikantin in der Abteilung für Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinischen Universität Wien zu arbeiten.

Als Spätberufene sieht sie sich am Krankenbett aufgrund der größeren Lebenserfahrung im Vorteil gegenüber anderen Medizinstudium-Absolventen.

Seit Februar 2014 macht sie nun eine Facharztausbildung für Strahlentherapie in Teilzeit, um begleitend ihre 2007 begonnene immunologische Forschungsarbeit fortsetzen und ihre beiden Söhne, die drei und fünf Jahre alt sind, betreuen zu können. Leicht zu finden war diese Lösung nicht. Mit kleinen Kindern galt sie für viele Stellen als "unflexibel" oder "Ausfallskandidatin".

Ihre aktuelle Studien über die Funktion von Vitamin D im Immunsystem finanziert sie mit einem L'Oréal-Stipendium "For Women in Science", vergeben in Kooperation mit der Österreichischen Uneso-Kommission und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und finanziell unterstützt vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium.

Dabei forscht sie in Zellkultur mit menschlichen Immunzellen aus Blutspenden. Bisherige Arbeiten an der Medizinischen Universität Wien haben gezeigt, dass Vitamin D in vitro auf T-Zellen aus kindlichem Blut anders wirkt als auf denselben Zelltyp, wenn er aus Erwachsenenblut isoliert wurde. Die Ursache dafür ist bisher nicht geklärt, Azizi-Semrad will sie näher beleuchten und damit Grundlagen für klinisch angewandte Forschung schaffen.

Die Dreifachbelastung mit Forschung, Lehre und Behandlung am AKH hält sie für sinnvoll, steht und fällt jedoch mit der Aufteilung der Arbeitszeit.

Freizeit ist für sie und ihren Mann, der ebenfalls Mediziner ist, ein rares Gut. Sie wird ausschließlich mit der Familie verbracht – am liebsten draußen, in den Bergen, beim Fußballspielen oder mit Radfahren. (Astrid Kuffner, DER STANDARD, 14.1.2015)