Bild nicht mehr verfügbar.

John Galliano kehrt in die Modewelt zurück.

Foto: ap/demarchelier

Absturz und Wiederauferstehung, Sünde und Vergebung, Buße und Läuterung: Die Geschichte des John Galliano ist seit gestern um eine Facette reicher. Der englische Designer, der vor knapp vier Jahren aufgrund eines antisemitischen Ausfalls mit Schimpf und Schande aus der Modewelt vertrieben wurde, kehrte an einem diesigen Londoner Montagnachmittag in den Schoß der Fashion-Community zurück. Galliano zeigte seine erste Kollektion für das Pariser Modehaus Maison Martin Margiela.

Statt eines Endlosreigens an pompösen Ensembles: 24 Modelle in einem nüchternen Londoner Glasbau. Statt einer Extrarunde auf dem Laufsteg in einem seiner Fantasiekostüme: eine schnelle Verbeugung in einem schlichten weißen Kittel. Letzeres ist das Erkennungszeichen aller Mitarbeiter des seit einigen Jahren in den Händen von Diesel-Chef Renzo Rosso befindlichen Modehauses. Von dessen Gründer Martin Margiela gibt es kein einziges Foto, wollte man mit ihm in Kontakt treten, dann war dies zu seinen aktiven Zeiten nur per Fax möglich. Die Maison Martin Margiela ist so etwas wie die puritanische, durch und durch intellektualisierte Antithese zu Gallianos barocker Märchenwelt.

Vierjährige Bußzeit

Dass der Designer nach vierjähriger Bußzeit in Entzugskliniken und als einsichtiger Interviewpartner ausgerechnet hier landete, hatte in erster Linie mit der mächtigen "Vogue"-Chefin Anna Wintour und deren Chef Jonathan Newhouse, dem Chef von Condé Nast, zu tun. Beide zogen hinter den Kulissen die Fäden, um Galliano zurückzuholen. Als Designer genießt der 54-Jährige noch immer einen makellosen Ruf, kaum einer in der Branche, der zu ihm nicht wie zu einem Genie aufschauen würde. Für Dior verantwortete er einige der schrillsten Modeorgien, der aufwändigsten Kostümreigen, der durchgeknalltesten Fashion-Inszenierungen der vergangenen Jahrzehnte.

Bei Margiela fängt Galliano seine Ära (falls es denn eine werden wird) dort an, wo er seinerzeit aufgehört hat. Doch das Bemühen, sich selbst Einhalt zu gebieten, ist spürbar. Galliano stülpt das Innere nach außen, das Darunter wird zum Darüber, das Unfertige zum Vollendeten. Schon immer war der englische Designer einer der größten Handwerker seiner Zunft und auch einer der größten Könner. Statt eines vollendeten Ergebnisses interessiert ihn das Zwischenstadium, das Kleid, in dem gerade noch die Nadeln steckten.

An diesem Punkt sind Galliano und Margiela auf einer Wellenlänge. Und das sieht man auch bei der Show in London, die zwei Wochen vor den eigentlichen Couture-Schauen in Paris als Couture-Präsentation vor einem kleinen Kreis von Ausgewählten (darunter Designer wie Christopher Bailey und Alber Elbaz, Journalisten wie Wintour und Hamish Bowles, Getreue wie Katie Grand und Nick Knight) gezeigt wurde. Dekonstruktion gehört sowohl für Galliano als auch für Margiela zum Grundwortschatz, beim Briten war und ist nur der Trommelwirbel etwas lauter als beim französischen Label.

Da zieren monströse Muscheln, die wie Organe wirken, das Vorderteil eines roten Mantels, da flattern die Rüschen auf einem transparenten Ophelia-Kleid. Aber Galliano zeigt auch eine Reihe schlichter schwarzer und roter Ensembles, samtige Kleider, bodenlange Mäntel, lockere Hosenanzüge. Auf das Modetheater folgt die Ernüchterung, auf die Hybris die Beschränkung. Das ist auch im richtigen Leben manchmal so. (Stephan Hilpold, derStandard.at, 13.1.2015)

Foto: Maison Martin Margiela
Foto: Maison Martin Margiela
Foto: Maison Martin Margiela
Foto: Maison Martin Margiela
Foto: Maison Martin Margiela