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Studenten in Nordkorea.

Foto: AP/Yu

Manchmal ufern die internen Machtkämpfe des Kim-Regimes bis ins tiefe europäische Ausland aus, reichen die Klauen des gefürchteten Geheimdienstes sogar bis hin zum noblen Pariser Vorort La Valette. Am dortigen Architekturinstitut sollen mehrere nordkoreanische Agenten bereits im November letzten Jahres einen 22-jährigen Austauschstudenten gekidnappt haben. Sie fuhren ihn zum Charles-de-Gaulles-Flughafen und wollten ihn von dort in ein Flugzeug Richtung China setzen. Doch in letzter Minute konnte ihr Opfer flüchten. Seitdem versteckt sich der junge Nordkoreaner an einem unbekannten Ort im Land, womöglich unter französischem Polizeischutz.

„Han (Anm.: Nachname des Studenten) wusste, was ihn in Nordkorea erwarten würde. Deswegen ist er geflüchtet“, äußerte sich der Paris-Korrespondent der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap News in einem Interview mit dem britischen "Telegraph". Voraussichtlich stünde ihm eine langjährige Haftstrafe in einem der berüchtigten Arbeitslager nach seiner Rückkehr bevor, vielleicht sogar die Todesstrafe. Der 22-Jährige ist unverschuldet auf die Liste der Landesverräter gelandet.

Beim Pariser Austauschstudenten soll es sich nämlich um den Sohn eines engen Vertrauten von Jang Seon-taek handeln. Jang war nicht nur der Onkel von Diktator Kim Jong-un, sondern auch lange Zeit der zweitmächtigste Mann im Land – bis er im Dezember 2013 wegen Landesverrats hingerichtet wurde. Im Oktober des vergangenen Jahres tötete das Regime in einer weiteren Hinrichtungswelle weitere Verbündete von Jang, darunter auch den Vater des Pariser Studenten.

Offiziell diplomatische Funkstille

Der Fall Han erzählt auch von den diskreten Verstrickungen westeuropäischer Staaten mit Nordkorea. Offiziell unterhält Frankreich keine diplomatischen Beziehungen zum Kim-Regime, doch bereits seit 2002 startete die Grande Nation ein lange geleugnetes akademisches Austauschprogramm für jeweils zehn nordkoreanische Studenten, die meisten von ihnen aus privilegierten Haushalten.

Die Frankophilie des 2011 verstorbenen Kim Jong-il ist ein offenes Geheimnis: Laut Kennern sei er ein Liebhaber von französischen Weinen, Käseprodukten und Autorenfilmen gewesen. Bereits 2008 hatte er sich heimlich nach einem Herzinfarkt in Frankreich vom renommierten Neurochirurgen François-Xavier Roux behandeln lassen. Dieser beschrieb Kim Jong-il als „zutiefst frankophil“ und erinnert sich an fundierte Konversationen über die kulinarischen Unterschiede zwischen Bordeaux und Bourgogne.

Initiiert wurde der Studentenaustausch von einem ehemaligen französischen Botschafter in Tokio, der im Auftrag des Kulturministeriums gehandelt haben soll – mit dem Ziel, den Kontakt zwischen den zwei Staaten aufrechtzuerhalten. Auch Nordkorea ist daran außerordentlich interessiert. Für das längerfristige Ziel, in Zukunft eine Botschaft in Paris öffnen zu dürfen, würden sie wohl reichlich Zugeständnisse machen. Eine Auslandsvertretung in Frankreich würde nicht nur internationale Anerkennung bringen, sondern auch das Regime weiter legitimieren.

Architektur im Zentrum des Interesses

Der Diplomat schlug ursprünglich akademische Programme in "elementaren" Feldern wie Medizin oder Ernährungswissenschaften vor, doch die Nordkoreaner interessierten sich nur für eine ganz bestimmte Disziplin: die Architektur. So ist es auch keine Überraschung, dass die Auslandsstudenten nach ihrer Rückkehr an den Prachtbauten des Regimes mitwirken. Laut Medienberichten sollen sie hinter der Gestaltung eines neuen Luxushotels stehen sowie an einem Eisstadion und einem geplanten Delfinarium in Pjöngjang maßgeblich beteiligt gewesen sein.

Auch österreichische Universitäten nehmen vereinzelt nordkoreanische Studierende auf. Im Falle des hiesigen Bildungssystems scheint sich das Kim-Regime jedoch vor allem für die Mozart-Tradition zu begeistern: Fünf nordkoreanische Studenten sind derzeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst inskribiert. Offensichtlich haben auch die Parteikader von Pjöngjang ein Faible für europäische E-Musik.

Renommierter Campus

Mehrere Redaktionen schickten bereits Reporter zum renommierten Campus der École Nationale Supérieure d'Architecture de Paris-La Villette, darunter "Vice" und der "Telegraph". Anhand der Aussagen von Kommilitonen versuchten sie sich ein Bild von den nordkoreanischen Gaststudenten zu machen. Lieblich seien sie, einfach gekleidet und fleißige Studenten. Erst ein einziges Mal sei es überhaupt vorgekommen, dass einer von ihnen eine Prüfung habe wiederholen müssen. Mehrmals wurden sie von Professoren angefragt, bei Architekturprojekten mit südkoreanischen Studenten zu kooperieren. Ansonsten blieben die Nordkoreaner meist unter sich. Ebenso soll regelmäßig eine Art Aufpasser, gekleidet in einen dreiteiligen Anzug, vor dem Institutsgebäude stehen, um die Anwesenheit der Studenten zu überprüfen.

Die Rektoren seien jedenfalls überaus überrascht gewesen, als sie vor zwölf Jahren erstmals ihre neuen Gaststudenten am Campus erblickt hatten: Diese trugen die obligatorische Anstecknadel, auf denen das Bildnis ihres „Großen Führers“ prangt. (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 12.1.2015)