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Protestaktion in Berlin: So gering ist der Anteil syrischer Flüchtlinge, die in EU-Staaten Asyl bekamen.

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Ernst Löschner und Michael Kerbler (von links).

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STANDARD: Sie sind im Juni 2013 mit Ihrer zivilgesellschaftlichen Initiative gegen Unmenschlichkeit angetreten, um asylpolitisch etwas im Sinne der Flüchtlinge zu verändern – unter anderem durch breiten Arbeitsmarktzugang für Asylwerber. Den gibt es immer noch nicht. Entmutigt Sie das?

Kerbler: Nein, keineswegs.

Löschner: Es enttäuscht uns, aber überrascht uns nicht. Und es bestärkt uns, weiterzutun. Das Mandat dazu kommt von über 30.000 Unterschriften und 300 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens

STANDARD: Das Thema Asyl ist offenbar besonders zäh. Wieso das?

Kerbler: So zäh ist es gar nicht. In der öffentlichen Diskussion etwa ist seit Monaten ein Veränderungsprozess spürbar. Private kommen zu uns, weil sie Flüchtlinge aufnehmen wollen. Auch gibt es, makroskopisch betrachtet, viele neue Asyl-Initiativen. Ich glaube, dazu haben wir ein wenig beigetragen.

STANDARD: Die reale Asylpolitik jedoch hat nichts von ihrer Härte verloren. Das wird mit diesbezüglichen Wünschen der Bevölkerung begründet. Sind die Österreicher mehrheitlich Flüchtlingsfeinde?

Löschner: Nein, auch hier hat sich etwas verschoben, vor allem aufgrund der Ereignisse im Nahen Osten. Die Situation der Kriegsflüchtlinge berührt die Österreicher sehr. Es könnte eine Welle der Hilfsbereitschaft geben, die an jene erinnert, als in den 1990er-Jahren die bosnischen Flüchtlinge kamen.

STANDARD: Wenn das so ist, warum ist es dann so schwer, Unterkünfte für Asylwerber zu finden? Wie es scheint, werden die Länder-Unterbringungsquoten trotz Landeshauptleute-Versprechens bis Ende Jänner nicht erfüllt werden können.

Kerbler: Weil Flüchtlinge auf politischer Ebene nicht als Menschen, sondern als heiße Kartoffeln wahrgenommen werden, die man rasch loswerden will – sei von einem Staat in den anderen oder von Bundesland zu Bundesland. Das ist menschenverachtend, wie etwa die Abschiebepraxis am Brenner Richtung Italien zeigt.

Löschner: Außerdem übertönt das Thema Quartiersuche seit Monaten andere wichtige Asylthemen. Etwa, dass es immer noch etliche so genannten Asyl-Altfälle gibt, Menschen die fünf, zehn Jahre und länger ohne Aufenthaltssicherheit in Österreich leben müssen. Das gehört gelöst – schon bei der nächsten Regierungsklausur.

STANDARD: All diese Themen sind dieser Tage aufgrund der islamistischen Terroranschläge in den Hintergrund getreten. Diese Gewalt ist Wasser auf den Mühlen der Islamgegner. Sind Ihres Erachtens künftig mehr Vorbehalte gegen muslimische Flüchtlinge zu befürchten?

Kerbler: Das Risiko besteht, aber damit solche Vorurteile erst gar nicht wachsen, ist eine kluge, quotengekoppelte Unterbringungsverteilung in allen Bundesländern nötig, die auch Ethnie und Religion berücksichtigt. Sonst sinkt die Hilfsbereitschaft und es entstehen gefährliche Haarrisse in der Gesellschaft. Denn wie wir mit Schutzlosen umgehen, weist darauf hin, wie wir miteinander umgehen werden, wenn die Zeiten härter werden.

STANDARD: Was erwarten Sie von der Politik als Maßnahmen gegen die wachsenden Islamfeindlichkeit?

Löschner: Dass Politiker in ihren Äußerungen klar zwischen dem IS-Terror und dem Wertesystem des Islam unterscheiden. Das geschieht immer noch viel zu wenig. Der kulturelle, menschliche und wissenschaftliche Beitrag des Islam zu Europa tritt dadurch völlig in den Hintergrund. Gerade vor diesem Hintergrund wäre wichtig, den Gesetzesentwurf, der Auslandsfinanzierung für islamische Einrichtungen in Österreich verbietet, gründlich zu überdenken.

Kerbler: Das geschockte Paris weist den Weg. Es sind Terroristen, ja Verhetzte, die Allah missbrauchen. Der Feind ist nicht die Religion, es gilt zu unterscheiden. Wer unterscheiden kann, wird sich nicht von Pegida und Sympatisanten instrumentalisieren lassen,

STANDARD: Auch im Asyldiskurs dominiert vielfach die Angst. Wie argumentieren Sie dagegen?

Löschner: Durch Sensibilisierung und Objektivierung. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgreich sein kann. Dass das Sozialministerium Ende vergangenen Jahres beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) die seit langem von uns vorgeschlagene Studie über die Folgen eines breiteren Arbeitsmarktzugangs von Asylwerbern in Auftrag gegeben hat, ist ein solches Zeichen.

STANDARD: Welche Begleitmaßnahmen braucht es, um den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber möglichst effektiv zu gestalten?

Kerbler: Hier können wir von Deutschland lernen: Ein zentraler Punkt sind dort Sprachkurse für die zum Arbeitsmarkt nunmehr großteils zugelassenen Asylwerber. Und es braucht eine Erhebung der Qualifikationen, die Flüchtlinge mitbringen. Die bestehenden Ängste einheimischer Niedriglohnbezieher könnte das stark mindern, denn ein syrischer Arzt nimmt, sobald er sich auf Deutsch verständigen kann, keinem Billigarbeitnehmer den Job weg.

Löschner: Außerdem braucht es eine möglichst gemeindenahe Integration, denn je besser man Asylwerber von Mensch zu Mensch kennt, umso geringer sind die Vorbehalte gegen sie. Hier muss das Knowhow der Flüchtlings-NGOs breiter als bisher einfließen. Deren Wissen werden wir noch dringend brauchen, denn was auf Europa zahlenmäßig an Flüchtlingen zukommt, ist beträchtlich. Ich gehe künftig von jährlich 40.000 Asylanträgen in Österreich aus.

STANDARD: Sind sich die verantwortlichen Politiker und Behördenvertreter dessen bewusst?

Löschner: Nein. Das Problem wird unterschätzt.

STANDARD: Was müsste geschehen, um besser vorbereitet zu sein?

Kerbler: Das geht nicht ohne Europa, die größte Flüchtlingswelle seit Ende des Zweiten Weltkriegs kann nur gemeinsam gelöst werden. Eine Idee wäre eine Art asylpolitischer EU-Finanzausgleich: Eine Flüchtlingsverteilung nach Quote in der Union, wobei Staaten mit nur wenigen Flüchtlingen an jene zahlen sollen, die mehr Asylwerber beherbergen. Für Österreich wäre das finanziell entlastend.

STANDARD: Das erinnert an den Handel mit CO2-Zertifikaten in Sachen Klimaschutz...

Kerbler: Ich finde das fair, vor allem solange eine andere Sprache als die des Geldes nicht verstanden wird.

Löschner: Aber es sollte natürlich kein Freikauf-Modell entstehen.

Kerbler: Das stimmt. Deshalb müssen Asylpolitik und Zuwanderungspolitik immer als Ganzes gesehen werden. Das ist unerläßlich. (Irene Brickner, derStandard.at, 10.1.2015)