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Neutraler Applaus für einen umstrittenen Mann: Bundespräsident Heinz Fischer und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl beklatschen Wladimir Putin bei dessen Wien-Besuch im Juni. Carl Bildt hält eine geeinte EU für das beste Mittel gegen eine Politik à la Putin.

Foto: EPA/HERBERT NEUBAUER

STANDARD: Als Sie 2006 schwedischer Außenminister wurden, hofften Sie noch auf eine Demokratisierung Russlands. Bei Ihrem Abgang 2014 hatte sich diese Hoffnung zerschlagen. Was ist schiefgelaufen?

Bildt: Einiges ist schiefgelaufen. Ich glaube, dass sich die russische Führung zunehmend von einer Demokratisierung im eigenen Land bedroht fühlte. Gleichzeitig wollte man auch die demokratische Entwicklung in den Nachbarländern stoppen, wie der Krieg in Georgien 2008 zeigte.

STANDARD: Die Regierung hatte Angst vor Demokratie?

Bildt: Ja. Ausschlaggebend war dann meines Erachtens, dass Putin sich zu Beginn seiner dritten Amtszeit als Präsident 2012 mit Demonstrationen im eigenen Land konfrontiert sah. Er reagierte mit einem weiteren Ausbau des autoritären Machtapparates.

STANDARD: Und dann kam die Ukraine ...

Bildt: Genau. Das muss man im Zusammenhang mit Putins Plänen für die Eurasische Wirtschaftsunion sehen, die ohne die Ukraine wenig wert ist.

STANDARD: Sie haben immer wieder gefordert, die EU müsse die Ukraine verteidigen - aber hat sie Putin überhaupt etwas entgegenzusetzen?

Bildt: Natürlich hat sie das. Nicht militärisch, aber wirtschaftlich und politisch. Die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt. Die Sanktionen gegen Russland greifen in allerhöchstem Maß, aber noch wichtiger ist eine wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine. Vergleicht man die Zahlungen der EU an zum Beispiel Griechenland mit denen an die Ukraine, dann hat die Ukraine nur ein Taschengeld bekommen.

STANDARD: Dennoch hält Russland die Krim besetzt. Ist Putin also erfolgreich?

Bildt: Nein, Putins Politik schwächt Russland. Schon jetzt fließen die Devisen ins Ausland, Investoren sind verunsichert. Ja, er baut eine militärische Macht auf, aber schauen Sie sich doch das Donezk-Becken an, da herrschen Gangsterbanden und Elend. Auch auf der Krim ist es schwieriger, als Putin glaubte. Es gibt eine einzige Fähre zum Festland. Laut meinen Informationen müssen die Menschen tagelang auf eine Überfahrt warten. Es gibt zum Teil keinen Strom, kein Wasser.

STANDARD: Sie glauben also, dass er langfristig scheitert?

Bildt: Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber eine geeinte und starke EU ist das beste Gegenmittel.

STANDARD: Neben der Rückkehr alter geopolitischer Strukturen erleben wir das Anwachsen fundamentalistischen Terrors. Kann sich die offene Gesellschaft nicht mehr schützen?

Bildt: Zweifelsohne befindet Europa sich heute in einer wesentlich schwierigeren Lage als noch vor ein paar Jahren. Im Osten haben wir ein autoritäres Russland, im Süden islamischen Fundamentalismus. Nur durch intensivere Zusammenarbeit können wir diesen Bedrohungen entgegenwirken.

STANDARD: Wie soll die konkret aussehen?

Bildt: Terror zum Beispiel ist grenzübergreifend. Die schwedischen Nachrichtendienste kämen ohne internationale Zusammenarbeit überhaupt nicht zurecht. Gleichzeitig soll man die Terrorgefahr auch nicht übertreiben.

STANDARD: Welche Kooperationsbereiche sind noch wichtig?

Bildt: Die EU hat die Sicherheitspolitik in den letzten Jahren vernachlässigt. Es wäre höchste Zeit, dass sich die Mitgliedstaaten diesbezüglich zusammensetzen. Das haben sie zuletzt 2003 getan, doch seitdem hat sich sehr viel verändert.

STANDARD: Österreich und Schweden sind eher kleine Länder, sie sind neutral und nicht in der Nato. Ist die Zeit der Neutralität vorbei oder ist genau das Gegenteil der Fall?

Bildt: Für mich hat die schwedische Neutralität mit dem EU-Beitritt 1995 aufgehört. Mitglied der Union und gleichzeitig neutral zu sein - das geht meiner Meinung nach nicht. Österreich mag das anders sehen.

STANDARD: Sie seien "ein mittelgroßer Hund, der sich wie ein großer aufführt", haben laut Wikileaks US-Diplomaten einmal über Sie gesagt. Ist die Botschaft, dass man sich als Minister eines kleinen Landes gefälligst ruhig zu verhalten habe?

Bildt: Ich habe das mehr als Kompliment aufgefasst. Als kleiner oder mittelgroßer Staat sollte man meiner Meinung nach immer versuchen, in einer höheren Liga zu spielen. Sich klein zu machen - das ist falsch. (Karin Häggmark, DER STANDARD, 10.1.2015)