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"Heraus mit uns! Ich erwarte, dass die Zeichnungen von 'Charlie Hebdo' auf den Titelseiten der Zeitungen auftauchen. Wir haben eine Kultur, und diese Kultur ist zu verteidigen. Aber nicht im Sinne einer kriegerischen Diktikon", sagt Gerhard Haderer im STANDARD-Interview.

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STANDARD: Mitten in Europa wurden Karikaturisten ermordet für ihre Zeichnungen, ihre Satire. Wie geht es einem sehr kritischen, angeblich auch selbst schon blasphemischen Zeichner?

Haderer: Menschlich bin ich natürlich bestürzt. Aber das ist nur eine kleine persönliche Befindlichkeit. Das Thema geht weit über die Befindlichkeit der professionellen Humorarbeiter hinaus. Das betrifft uns alle.

STANDARD: Weil eine Frage der Meinungsfreiheit.

Haderer: Es geht um die Freiheit des Wortes, um die Freiheit der Kunst. Damit habe ich ja persönliche Erfahrung.

STANDARD: Ihre Zeichnungen im Buch "Das Leben des Jesus" wurden heftig kritisiert, in Griechenland wurde es vorübergehend sogar verboten. Gibt es Grenzen der Satire?

Haderer: Natürlich kommt immer wieder die Frage: Gibt es denn Grenzen der Satire? Sind religiöse Gefühle ganz besonders tabu? Ich bin der Meinung: Wenn die Aufklärer vor 250 Jahren solche Grenzen akzeptiert hätten, würden bei uns noch heute die Scheiterhaufen brennen. Satire darf alles; es ist ganz klar, dass wir immer aufgefordert sind, diese Grenzen neu zu definieren.

STANDARD: Es gibt auch Menschen, die sagten: "Charlie Hebdo" hat Grenzen überschritten, religiöse Gefühle verletzt.

Haderer: Die Frage ist legitim. Michel Houellebecqs jüngster Roman ist eine fiktive Satire …

STANDARD: … über einen charismatischen Muslim, der zum französischen Präsidenten gewählt wird. Houellebecqs Roman war in der Mittwoch erschienenen Ausgabe Coverthema von "Charlie Hebdo".

Haderer: Man muss zu intellektueller Dummheit nicht unbedingt positiv stehen. Muss man natürlich nicht. Man kann sie kritisieren. Das ist jener Dialog, den wir in unserer freiheitlichen Grundverfassung auszutragen gewohnt sind. Daher ist auch diese Äußerung zu diskutieren. Aber sie kann natürlich in keiner Weise eine Gewalttat legitimieren, wie sie sich in Paris abgespielt hat. Das ist völlig absurd.

STANDARD: Kommt man nach diesen Ereignissen in die Gefahr einer Selbstzensur, einer sogenannten Schere im Kopf.

Haderer: Es gibt keinen Grund, verschüchtert zu reagieren. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich sehe das als Auftrag, ganz klar und eindeutig dagegenzuhalten. Heraus mit klugen und gut überlegten Äußerungen! Das Niveau der Diskussion muss ganz klar angehoben werden. Wir befinden uns jetzt nicht mehr auf dem Niveau, wo sich Karikaturisten wechselseitig über ihre Äußerungen abhauen. Es geht über diesen Tellerrand hinaus. Wir haben eine demokratiepolitische Diskussion zu führen. Da muss man gescheit argumentieren.

STANDARD: Nämlich?

Haderer: Wir müssen klarstellen: Es geht hier nicht darum, Fronten aufzubauen, wie es nun in der Luft liegt: hier die Islamisten, da die anderen. Um die Pegida-Demonstranten mache ich mir ja weniger Sorgen – aber was mich wirklich interessiert: Wie geht es den vielen Muslimen, die bei uns leben? Nehmen wir doch darauf Rücksicht, dass wir eine Gemeinschaft haben, für die wir die Regeln wieder definieren müssen. Das klingt sehr politisch. Aber Karikatur, wie ich sie verstehe, hat immer einen politischen Ansatz gehabt, und sie hat immer auch mit Haltung zu tun. Diese Haltung müssen wir jetzt klarstellen. Da müssen wir aktiv werden. Wir können nicht verschüchtert oder ängstlich reagieren. Angst haben im Augenblick die Mitbürger muslimischen Glaubens, die davon stark betroffen sind. Darüber mache ich mir Gedanken.

STANDARD: Wie wollen Sie initiativ werden?

Haderer: Wir Karikaturisten sind ja kein Völkchen, das keine Sprache hat. Wir haben unsere Sprache, und wir haben die Medien, die sie veröffentlichen. Aber man muss jetzt auch sehr genau schauen: Wie ist es denn mit den Scheren in den Köpfen derer, die für die Verbreitung zuständig sind? Dort gibt es diese Schere längst, schon seit Jahren.

STANDARD: Bei den Medien also.

Haderer: Natürlich. Bei den Verlagen, bei den Redakteuren, auch bei Ihnen. Also: Heraus mit uns! Ich erwarte, dass die Zeichnungen von "Charlie Hebdo" auf den Titelseiten der Zeitungen auftauchen. Wir müssen aktiv sein und selbstbewusst sein und sagen: Wir haben eine Kultur, und diese Kultur ist zu verteidigen. Aber nicht im Sinne einer kriegerischen Diktion, sondern in einem Miteinander. Wir haben Regeln hier, und ein Verbrechen wie in Frankreich wird bestraft werden. Punktum. Aber wir lassen uns die Freiheit des Wortes, die Pressefreiheit durch solche Taten nicht einschränken. (Harald Fidler, derStandard.at, 8.1.2015)