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Nach Kämpfen zwischen Milizen und Regierung brannten Öltanks im libyschen Sidra. Die Fördermenge ist zuletzt dramatisch gesunken.

Foto: Reuters

Tripolis/Kairo - Ein Staat Libyen existiert bald vier Jahre nach dem Beginn der Revolution gegen Diktator Muammar al-Gaddafi nur noch auf dem Papier. Die Lage auf dem politischen Parkett und auf dem Kriegsschauplatz wird mit jedem Tag komplexer. Zwei rivalisierende Regierungen streiten sich um die Macht und die reichen Ressourcen des Landes. Der Konflikt eskaliert Schritt für Schritt.

Kämpfe um Öleinrichtungen

Zentrum der militärischen Auseinandersetzungen ist die Gegend um Sirte, wo sich die wichtigsten Öleinrichtungen befinden. Mitte Dezember hatten die islamistischen Fajr-Milizen (Mörgenröte), die hinter der nicht anerkannten Gegenregierung in Tripolis stehen, eine militärische Operation begonnen, um diese Einrichtungen und die entsprechenden Einkünfte unter ihre Kontrolle zu bringen.

Der nationalen Armee und den Spezialeinheiten zum Schutz der Öleinrichtungen ist es bisher gelungen, die Angriffe abzuwehren. Die Fajr-Milizen wurden nach Bin Jawad, etwa 30 Kilometer vom Verladeterminal al-Sidra, zurückgedrängt. Die Kämpfe forderten dutzende Tote auf beiden Seiten. Sieben Öltanks in Sidra gingen in Flammen auf und konnten erst nach Tagen gelöscht werden. Dabei verbrannten 800.000 Barrel Öl. Die bewaffneten Auseinandersetzungen im "Öl-Halbmond" hatten zur Folge, dass die Ölförderung seit Mitte Dezember von 800.000 Barrel pro Tag auf weniger als 350.000 gesunken ist.

Öltanker bombardiert

Als Vergeltung für die Fajr-Angriffe gegen den ökonomischen Lebensnerv hat die Luftwaffe der nationalen Armee in den letzten Tagen erstmals Ziele in der Stadt Misrata bombardiert. Im Visier waren der Hafen, eine Militärakademie, Montag auch ein unter griechischer Flagge fahrender Öltanker. Dieser habe sich verdächtig verhalten, hieß es nach dem Angriff, bei dem mindestens zwei Besatzungsmitglieder starben.

Aus der Stadt Misrata stammen der Kern der Fajr-Einheiten und ihre politischen Köpfe. Sie erkennen das im Sommer gewählte Parlament in Tobruk und die Regierung von Premier Abdullah al-Thinni nicht an. In Tripolis haben sie eine Gegenregierung und parallele Institutionen installiert. Im Hoheitsgebiet der islamistischen Milizen werden als Vergeltung oft Ägypter – gezielt christliche Kopten – ermordet und entführt, um Druck auf Kairo auszuüben. Präsident Abdelfattah al-Sisi gehört zu den wichtigsten Unterstützern Thinnis.

Kein Vorankommen

Die beidseitig betriebene Eskalation hat zur Folge, dass der von den UN für Montag vorgesehene politische Dialog zwischen allen Konfliktparteien auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Offenbar hatten beide Seiten Vorbedingungen gestellt, an denen alle Vermittlungsversuche gescheitert sind. Erschwerend kommt dazu, dass die beiden Machtblöcke je nicht mit einer Stimme sprechen und keine klare Führung haben. 2014 haben die Auseinandersetzungen gesamt rund 2800 Tote gefordert.

Militärisch ist es bis jetzt keiner Seite gelungen, den Gegner entscheidend zu schwächen. Die nationale Armee kann ihre Überlegenheit aus der Luft ausspielen und macht alle Versuche der Fajr-Milizen zunichte, Trainingsflugzeuge umzurüsten oder alte Kampfjets zu reparieren. Am Wochenende hat das Parlament in Tobruk 129 ehemalige Offiziere aus der Gaddafi-Ära, darunter Ex-General Khalifa al-Haftar, wieder offiziell in die Armee aufgenommen. Haftar und einige seiner Getreuen hatten im Mai in eigener Regie eine Militäroffensive gegen islamistische Milizen lanciert. Seit längerem kämpft er Seite an Seite mit der nationalen Armee.

Nachbarländer wollen militärisch eingreifen

Über ihren Vertreter bei der Arabischen Liga hat die anerkannte libysche Regierung am Montag die internationale Gemeinschaft offiziell um Waffenlieferungen gebeten. Man appelliere an die Verantwortung, Libyen im Kampf gegen die Milizen zu unterstützen. Je später der militärische Sieg komme, je mehr könnten sie expandieren. Die Chancen für eine politische Lösung des Konfliktes würden so geschmälert.

Mehrere Länder der Region, vor allem der Tschad und der Niger, hatten kürzlich eine internationale militärische Intervention in Libyen gefordert. Aber der französische Präsident François Hollande schloss das kategorisch aus. Die internationale Gemeinschaft müsse alles tun, um einen Dialog zu beginnen, sagte er gegenüber Radio France Inter. Frankreich hatte 2011 als erstes Land Jets gegen Gaddafis Truppen eingesetzt. (Astrid Frefel, DER STANDARD, 8.1.2015)