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Mit dem Phantom spricht Rolls-Royce - hier beim Pariser Autosalon im Oktober - ältere Semester an. Für jüngere Kundschaft gibt es Gespenster.

AP/Remy de la Mauviniere

Torsten Müller-Ötvös ist erkennbar guter Dinge. Ob es daran liegt, dass bald die oberste Repräsentantin Großbritanniens in der Heimat des Automanagers unbezahlte Werbung für sein Produkt machen wird? Soeben hat der Buckingham-Palast einen Staatsbesuch von Elisabeth II. in Deutschland angekündigt. Sollte die alte Dame im Juni nicht einen Regierungs-BMW benutzen, dürfte sie im Rolls-Royce zu Banketten und Besuchsterminen rollen.

Aber Müller-Ötvös (54) hält sich, bei aller sonst zur Schau getragenen Offenheit, eisern an die Maxime: Über einzelne Kunden wird nicht geredet, schon gar nicht über die Royals. Der Frohsinn des Geschäftsführers hat vielmehr mit den jüngsten Verkaufszahlen seiner Firma zu tun, die weltweit als Symbol, beinahe als Synonym für Britishness gilt. 4063 Automobile, keines im Wert unter 230.000 Euro (zuzüglich Steuern), hat Rolls-Royce (RR) im Vorjahr verkauft, eine Steigerung um zwölf Prozent gegenüber 2013. Auf wichtigen Märkten wie Nordamerika beträgt der Zuwachs sogar dreißig Prozent. "Weit mehr als hundert" Käufer fanden sich im deutschsprachigen Raum - genaue Länderzahlen gibt das Unternehmen traditionell nicht bekannt.

Gespenster bringen Kunden

Tatsächlich eilt die berühmte Automarke schon seit Jahren von Erfolg zu Erfolg. Finanz- und Wirtschaftskrisen scheinen der Nachfrage nach dem ultimativen Statussymbol nichts anhaben zu können. Mit der Fortentwicklung der Ghost-Baureihe und der Einführung des Wraith (beides auf Deutsch: Gespenst) konnte die BMW-Tochter neue Kundenkreise erschließen. Waren es bisher fast ausschließlich Männer, sind mittlerweile rund zehn Prozent Frauen. Während die Käufer der Limousine Phantom durchschnittlich im sechsten Lebensjahrzehnt stehen und sich vom Chauffeur kutschieren lassen, sind Wraith-Liebhaber gerade mal 35 bis 40 Jahre alt. Auf dem Wachstumsmarkt Asien belohnen sich gar Unternehmer um die 30 mit einem besonderen Automobil.

Wobei Müller-Ötvös sich eher "im Luxusgütergeschäft" sieht, nicht als Teil der klassischen Autobranche. "Keiner braucht einen Rolls-Royce, um von A nach B zu kommen." Wer an die Tradition der 1904 von Charles Rolls und Henry Royce anknüpfen will, ist vielmehr auf der Suche nach einem Liebhaber- und Anlageobjekt. Mehr als ein Viertel aller jemals gebauten RR-Fahrzeuge sind bis heute im Einsatz.

"Flying Doctors"

Die Kundschaft ist reich und anspruchsvoll. Braucht ein RR-Besitzer etwa auf Mauritius im Indischen Ozean Hilfe, setzt die Zentrale in Goodwood (Grafschaft West-Sussex) einen Mechaniker ins Flugzeug. "Flying doctors" heißt der Service. Neukunden bekommen mittels Glasfaser-Dioden ihre individuelle Sternenkonstellation ins Autodach gepflanzt.

Und wer beim Bau seines ganz besonderen Vehikels das Holz von einem bestimmten Baum im eigenen Garten verwendet wissen will - die Ingenieure von Goodwood ermöglichen es. "Wir machen bewusst Dinge mit der Hand. Handarbeit ist ein Teil der Seele", erläutert Müller-Ötvös die Unternehmensphilosophie. Weil viele Kunden diese Meinung teilen, wollen sie oft jene Menschen kennenlernen, die ihr Auto gebaut haben.

In der von Architekt Nicholas Grimshaw konzipierten Fertigungshalle stößt der Besucher auf engagierte Handwerker. "Unsere Leute sind mit Begeisterung und Stolz dabei - einem Stolz, den man sich in Deutschland manchmal wünschen würde", charakterisiert der gelernte Marketingspezialist mit dem halb ungarischen Namen ("ötvös" bedeutet so viel wie Goldschmied) seine 800 überwiegend britischen Angestellten. "Es gibt Optimismus, Experimentierfreude und die Fähigkeit, außerhalb bestehender Prozesse zu denken" - Letzteres eine Charaktereigenschaft, bei denen Müller-Ötvös seine Landsleute "nicht als Weltmeister" sieht. Umgekehrt kennt der frühere BMW-Manager auch die Schwächen der Insel. Eine qualifizierte Handwerkerausbildung bis zum Meister fehlt, der Mittelstand ist schwach ausgeprägt. Noch immer werde den Bedürfnissen des Finanzdistrikts "City of London" zu viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Kein Umzug aufs Festland

Immerhin hat die konservativ-liberale Koalition, vor allem Wirtschaftsminister Vincent Cable, in den vergangenen Jahren versucht, den Stolz auf britische Ingenieurskunst neu zu wecken. "Das unterstütze ich sehr stark", sagt der RR-Boss. Müller-Ötvös nimmt auch auf die Frage nach dem EU-Verbleib Grossbritanniens kein Blatt vor den Mund: "Ich kann die Regierung nur dazu ermutigen, Teil der EU zu bleiben." Schliesslich ist die Manufaktur in Goodwood eng verzahnt mit dem Mutterunternehmen, sitzen wichtige RR-Ingenieur- und Designabteilungen am Konzernsitz in München.

Freilich lässt der Deutsche auch keinen Zweifel daran, dass der BMW-Konzern natürlich jedes Ergebnis eines etwaigen Referendums akzeptieren würde. Ein Umzug der heiligen Marke auf den Kontinent, das komme nicht in Frage. "Rolls-Royce ist britisch und muß britisch bleiben. Es ist eine Ehre, für dieses Unternehmen zu arbeiten." (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 7.1.2015)