"Erst wenn etwas in den Sinnen ist, ist es auch im Verstand."

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Regelmäßige Bewegung macht Kinder gesünder und fördert die Konzentrationsfähigkeit. Das weiß man – dafür braucht es keine Studien. Doch kann Bewegung auch gezielt als Lernhilfe in der Schule eingesetzt werden und auf diese Weise sogar die Persönlichkeit von Mädchen und Buben positiv beeinflussen? Die Kinder gar kritischer und selbstbewusster machen? Und wie müsste sie gestaltet sein, um diesen Effekt zu erzielen? Das sind die Fragen, die ein Forschungsprojekt der Universität Wien beantworten will.

Das Forscherteam um Otmar Weiß vom Zentrum für Sportwissenschaft hat seine Studie "Psychomotorik in der Schule" getauft; sie soll bis 2016 laufen. "Lernen ist ja nicht nur eine kognitive Angelegenheit", sagt Weiß, stellvertretender Leiter des Zentrums und studierter Soziologe. Lernen habe viel mit der Befindlichkeit des Menschen zu tun, mit seinen Interessen und Gefühlen. "Erst wenn etwas in den Sinnen ist, ist es auch im Verstand." Durch die Verknüpfung von Lernen und Bewegung können Kinder Neues besser aufnehmen, abspeichern und abrufen.

Selbsterfahrung als Basis für Empathie

Hinter dem Projekt steht die Annahme, dass Denken und Lernen dann am besten funktionieren, wenn der Körper miteinbezogen wird: Erst wenn alle Sinne aktiviert sind und zusammenspielen, könne sich Wissen festsetzen.

Die Psychomotorik ist eine relativ junge wissenschaftliche Disziplin. Die Sinnerfahrung bildet in diesem Konzept die Basis für abstraktes Denken: Indem durch Bewegung die bessere Wahrnehmung des eigenen Körpers geschult wird, lasse sich ein physiologischer und zugleich psychologischer Effekt erzielen. Weiß: "Nur wenn man sich selbst kennt, wenn man Selbsterfahrungen gemacht hat, ist es möglich, dass man jene Empathie und jenes Einfühlungsvermögen entwickelt, das in den unterschiedlichen sozialen Settings notwendig ist."

Lernen aus eigenem Antrieb

Auf die Schule umgelegt heißt das etwa, dass Kinder Zahlen, Buchstaben, Wörter und Inhalte nicht nur vom Papier weg pauken, sondern auch sinnlich erleben, indem sie sie etwa mit Bewegungsabläufen verknüpfen. Weiß ist überzeugt, dass Lerninhalte von Kindern so leichter erfasst und behalten werden. Die Forscherinnen und Forscher setzten dabei auf die sogenannte intrinsische Motivation der Heranwachsenden: Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler sich aus eigenem Antrieb neues Wissen aneignen wollen – und nicht, weil sie später dazu geprüft oder mit Noten bewertet werden. Intrinsische Motivation ist also Motivation von innen heraus. Sie gilt als Voraussetzung für kreative und intellektuelle Leistungen. Mithilfe des gezielten Einsatzes von Bewegung zum Lernen könne diese Motivation aktiviert werden.

Otmar Weiß zur Psychomotorik in der Schule: "Kinder können das tun, was ihnen Spaß macht, was sie gerne machen, woran sie Interesse und Freude haben, was Sinn für sie ergibt." Denn erst, wenn Schüler mit allen Sinnen bei der Sache sind und ihre Interessen in den Lernprozess miteinbeziehen, könne Lernen effizient sein.

Jährliche Evaluierung

Um herauszufinden, wie sich Bewegung als Medium in der Schule verankern und zum besseren Wissenserwerb sowie zur Persönlichkeitsentwicklung der Kinder nutzen lässt, kooperieren die Forscher mit mehreren Volks- und Neuen Mittelschulen. Zunächst werden die Lehrpersonen darin geschult, ihren Unterreicht bewegungsbezogen zu gestalten. Einmal jährlich soll dann empirisch überprüft werden, ob die Kinder durch die psychomotorischen Lehr- und Lernmethoden lieber lernen und sich den Lernstoff besser merken. Außerdem wollen die Forscher untersuchen, ob den Kindern dadurch positive soziale Erfahrungen ermöglicht wurden.

Zu diesem Zweck werden die Leistungen und Erfahrungen der Kinder in den Projektschulen mit jenen von Schülerinnen und Schülern "gewöhnlicher" Schulen verglichen. Die Wissenschafter wollen außerdem Eltern und Lehrpersonen in qualitativen Interviews zu ihren Erfahrungen mit der Methode der Psychomotorik befragen. Das Projekt findet im Rahmen von "Sparkling Science" statt, einem Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. (lima, DER STANDARD, 6./7.1.2015)