Illustration: Magdalena Rawicka

Überleben nach dem Cornflakes-Prinzip: In einer Lawine bleiben Objekte mit größerem Volumen eher an der Oberfläche. Seit 30 Jahren setzen Airbagrucksäcke von verschiedenen Herstellern hier an - und retten Leben. Von oben nach unten die Produkte von K2, Black Diamond, ABS und Mammut.

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Zwei Alpinführer bei der Demonstration eines Lawinenrucksacks.

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Es gibt auch die zynische Lesart. Die, dass Prinz Frisos Unfall das Beste war, was Peter Aschauer passieren konnte. Denn nachdem der niederländische Prinz am 17. Februar 2012 in Lech in eine Lawine geraten und ins Koma gefallen (und 18 Monate später gestorben) war, ging Aschauer in Bestellungen unter: Lawinenairbags waren ausverkauft. Schlagartig. Prinz Friso war nämlich "oben ohne" unterwegs gewesen - sein unverletzt aus dem Schneebrett steigender Begleiter nicht.

Weil Menschen einfache Antworten auf komplexe Fragen lieben, war medial rasch klar: Mit einem Lawinenairbag wäre dem Niederländer nichts passiert. Denn so ein Airbag macht alles gut. Er zähmt Wildnis, macht die Natur beherrschbar. Bändigt Lawinen. Er ist das "Wir holen dich da raus"-Gadget. Gegen Angst - für Freiheit. Und so weiter.

Die Lawine vermeiden

In der Euphorie, mit der da der Reset-Button für Tiefschneefahrer besungen wurde, ging eines unter: Profis - Bergretter und Bergführer - stimmten nicht mit ein. Und noch einer: Peter Aschauer - der Mann, der 1985, vor 30 Jahren, der Welt diesen Airbag gebracht hatte, versuchte zu relativieren. Gehör fand er keines: "Das Ziel muss immer sein, den Lawinenabgang zu vermeiden. Erst wenn das misslingt, startet das Notfallprogramm. Da kommen wir ins Spiel."

"Wir", das sind die ABS-Airbags, die Aschauer im bayrischen Gräfelfing herstellt. "ABS" steht für "Avalanche Balloon System" und beschreibt das Produkt: In den Rucksack integrierte Ballons werden im Notfall blitzartig aufgeblasen. Das so vergrößerte Volumen erhöht die Chance, nicht verschüttet zu werden. Denn Lawinen funktionieren nach dem "Cornflakes-Prinzip": Große Teile bleiben oben.

Erfunden hat der 72-jährige Besitzer der ABS-Lawinenairbags, Peter Aschauer GmbH den Lawinenairbag nicht selbst: "Der Bad Reichenhaller Forstmeister Josef Hohenester stellte im Selbstversuch fest, dass er eine Verschüttung vermied, wenn er sein Volumen vergrößerte." Konkret: Forstmeister Hohenester kam in den 1970er-Jahren mit über die Schultern gelegtem, erlegtem Wild in ein Schneebrett. Er überließ seine Entdeckung der Fraunhofer-Gesellschaft. Die meldete ein Patent an. Von dem hörte Peter Aschauer.

Den Nerv getroffen

Aschauer ist Spezialist für Lösungen alltäglicher Probleme: Er "erfand" jene Baustellentoiletten, die heute als "Dixiklos" jeder kennt. Bayerns schwarz-weiß gestreifte Straßenbegrenzungspfosten sollen von ihm stammen. Wäre da noch eine Hundewaschanlage, die allerdings nie den Durchbruch geschafft hat. Ebendies prophezeite man Aschauer, als er sein System 1985 auf der Sportmesse ISPO vorstellte. "Der Grundgedanke, dass es sinnvoller sei, die Verschüttung zu vermeiden, als darauf zu warten, von Nichtverschütteten ausgegraben zu werden", fand Anklang, aber die Alpinszene ist innovationsskeptisch.

Doch Aschauer traf einen Nerv. Skitouren und "Freeriden" begannen zu boomen - der Markt wuchs. Und wächst: Heuer, schätzt Aschauer, werde ABS 50.000 Einheiten absetzen. Aber: "150.000 LVS-Geräte (Lawinenverschüttetensuchgeräte; Anm.) werden jährlich verkauft: Jeder, der eines kauft, ist ein potenzieller Kunde. Da ist genug Luft nach oben."

Das sah nicht nur der Bayer. Als um 2010 Mitbewerber wie BCA und Mammut ihre Systeme präsentierten, beschrieb ein Manager der Schweizer Aschauers größte Schwachstelle: "ABS stellt Lawinenairbags her, an denen ein Rucksack hängt. Wir machen seit 100 Jahren Rucksäcke, in die wir jetzt Lawinenairbag implementieren."

Unterschiedliche Systeme

Das ist Geschichte: ABS hat auch in Rucksackfragen dazugelernt. Außerdem wird das System in die Backpacks anderer Hersteller (etwa Ortovox) gebaut. Und: "Fremde" und eigene Säcke in allen Größen passen heute auf die Basisplatte, die die ABS-"Flügel" beherbergt. Mitbewerber wie Mammut oder Scott setzen dagegen auf "mobile" Airbags: einer für mehrere Rucksäcke - die können auch "nackt" verwendet werden.

Der Markt ist übersichtlich. Die größten Unterschiede: ABS löst per Kleinstsprengladung aus, Mammut, BCA & Co per Bowdenzug. Scott verwendet zwei Druckluftflaschen, Mammut und ABS eine. BCA (deren "Float"-System etwa K2 verwendet) hat ein Manometer drauf. Und bei Black Diamond pumpt statt der Patrone ein Elektromotor den Airbag auf. Der Motor-Airbag ist sofort wieder einsatzbereit. Patronen müssen ausgetauscht oder wiederbefüllt werden. Ein akademischer Unterschied: Zweimal im Leben in eine Lawine zu kommen ist unwahrscheinlich. Und zweimal an einem Tag ... Ähnliches gilt für die Debatte, ob Twinbags am Rumpf besser sind als Mono-Luftkissen beim Kopf: Mit "Flügeln" liegt man waagrecht auf der Lawine und hat weniger Probleme mit "nachrinnendem" Schnee. Dafür schützen Mono-Luftkissen den Kopf.

Eines haben alle Airbags gemein: Sie erhöhen die Chance, in einer Lawine nicht verschüttet zu werden, signifikant - und sind am effizientesten, wenn man trotz aller Tech-Euphorie Aschauers Mantra nicht vergisst: "Das Ziel muss immer sein, den Lawinenabgang zu vermeiden." (Thomas Rottenberg, Rondo, DER STANDARD, 9.1.2015)