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Gerettete Passagiere der Ezadeen feiern die Ankunft in Europa. Hinter ihnen liegen Stunden akuter Lebensgefahr.

Foto: Reuters/Stringer

Über Vorwürfe der Sozialromantik dürfte die deutsche Polizeigewerkschaft (DPolg), die zweitgrößte, im Deutschen Beamtenbund angesiedelte Polizistenvertretung der Bundesrepublik, erhaben sein: Ihr Vorsitzender Rainer Wendt ließ in der Vergangenheit schon mit Forderungen wie den Einsatz von Gummigeschoßen gegen Anti-Nazi-Demonstranten von sich hören, weil man Gummigeschoße im Unterschied zu Wasserwerfern bereits "aus der Distanz" – also für Polizisten risikoärmer – gegen die Protestierenden einsetzen könne.

Für diese stramme Positionierung wurde Wendt massiv kritisiert. Auch seine aktuelle Wortmeldung zur jüngsten Steigerung der Asylkrise im Mittelmeer – dem Einsatz großer Frachter mit bis zu 1000 Passagieren als Flüchtlingsschiffe, die in Küstennähe von Kapitän und Besatzung ihrem Schicksal überlassen werden – ist nicht unbedingt als Ausdruck von besonders ausgeprägter Empathie für Flüchtlinge zu werten.

Ursachen und Wirkungen

Vielmehr ist Wendts Stellungnahme wohl eher als die eines berufsbedingten Experten für Sicherheitsbelange zu verstehen, der in diesem Fall Ursachen von Wirkungen zu unterscheiden versucht: Die Nutzung von zuletzt führungslosen Frachtern zur Überquerung des Mittelmeers durch, großteils, Kriegsflüchtlinge aus Syrien sei die Folge der falschen Politik der Europäischen Union, sagte er.

Konkret würden Schlepper und Schleuser mittels derartiger Frachtereinsätze menschenverachtend und brutal auf das Ende von "Mare Nostrum", der Flüchtlingsrettungsaktion der italienischen Marine, reagieren. Diese hatte weite Teile des Mittelmeers zwischen der libyschen und der italienischen Küste abgedeckt. Stattdessen wird nun unter dem Titel "Triton" und unter der Leitung der EU-Grenzschutzagentur Frontex seit November nur noch 30 Seemeilen vor Sizilien sowie Lampedusa patrouilliert.

4500 Euro pro Überfahrt

Mit "Triton" so Wendt, habe die EU "den Schleppern das ganze Mittelmeer überlassen" – für Überfahrten, die auf Facebook um 5500 Dollar (rund 4500 Euro) pro Person angeboten wurden, wie der syrische Kapitän des in letzter Minute geretteten 800-Passagiere-Frachters Ezadeen der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" schilderte.

4500 Euro: Laut RaiNews-Online ist das dreimal mehr, als Überfahrten auf kleinen Booten kosten, in denen vielfach Menschen aus den afrikanischen Subsahara-Staaten sitzen. Auf der Ezadeen und anderen umfunktionierten Frachtern – laut Frontex wurden seit vergangenem August bereits 15 registriert - wagt hauptsächlich die (noch) betuchte syrische Mittelklasse die Flucht.

Kein legaler Weg

Die finanziell besser dastehenden Syrer haben mit den verarmten Subsahara-Afrikanern indes etwas Essenzielles gemeinsam: Für die Chance, Europa je zu erreichen, sind Angehörige beider Gruppen derzeit gezwungen, ihr Leben zu riskieren. Beide sind auf die "Angebote" der Schlepper und Schleuser angewiesen, weil es de facto keinen anderen Weg gibt, um das zu tun, worauf sie ein international verbrieftes Menschenrecht haben: in der EU um Asyl anzusuchen.

Diesen Umstand gilt es in Reaktion auf die neuen Fluchtfrachter nicht zu vergessen. Statt nach noch mehr Überwachung, ja gar militärischer Abschreckung zu rufen, gilt es, die Ursachen des Problems zu sehen: dass die nationalen Regierungen der EU beim Thema Flüchtlinge nach wie vor dem Floriani-Prinzip folgen - humanitär wichtig, aber bitte nicht bei mir zu Hause. Und dass daher Außengrenzenstaaten wie Italien mit den Fluchtbewegungen alleingelassen werden: Flüchtlinge, die über den Brenner nordwärts reisen wollen, werden mittels trilateraler Grenzschutzpatrouillen daran gehindert.

Asylantrag schon außerhalb der EU

Diese Zusammenhänge sieht auch der gestandene Polizeigewerkschafter Wendt – und hier ist ihm zuzustimmen. Unter anderem schlägt er vor, "mit Verhandlungen, Anreizen und Beratung" in den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten dafür zu sorgen, "dass Flüchtlinge möglichst gar nicht erst diese Schrottkähne besteigen können". Auch sollten Asylansuchen außerhalb der EU "zumindest vorgeprüft" werden können. Nach positiver Prüfung hätten Syrer und andere Flüchtlinge dann das Recht, ganz legal und risikolos ins gelobte Europa zu reisen. Die Schlepper samt ihren Frachtern würden vielfach leer ausgehen. Genau das ist das Ziel. (Irene Brickner, derStandard.at, 5.1.2015)