Alexis Tsipras versteht ökonomisch wahrscheinlich deutlich mehr von der griechischen Wirtschaft als Hans Rauscher: Er sieht die tägliche Verarmung, das Nichtvorhandensein von lebensnotwendigen Medikamenten, die 30-prozentige Senkung der Pensionen, die 26 Prozent Arbeitslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit der Jugend, die keine Arbeit und kein Einkommen hat - mit einem Wort: die tiefe Not der Bevölkerung. Daher schlägt er eine Politik vor, die als Grundlage jener ähnelt, die die Alliierten, vor allem die USA, Deutschland angedeihen ließen, indem sie diesem weitestgehend die Kriegsschulden strichen, damit die Investitionsoffensive des Marshallplans ohne konfiskatorischen Schuldenberg greifen konnte. Eigenartigerweise will sich das heutige Deutschland daran nicht erinnern.

Es ist nicht nur falsch, sondern perfide, wenn Rauscher, um seine Verurteilung Tsipras' zu retten, dessen Politik alle Fehler der letzten griechischen Regierungen andichtet: "Die griechische Katastrophe geht genau auf jene jahrzehntelange Misswirtschaft zurück, die Tsipras nun fortführen und potenzieren will: Aufblähung des Staatsapparates, um Parteifreunde zu versorgen, Vernachlässigung des (kleinen) produktiven Sektors zugunsten des trägen Staatsapparates, Klientelismus zum Exzess, nicht vorhandene Steuermoral, sowohl bei den Reichen wie beim gewöhnlichen Bürger, Mangel an Bürgersinn überhaupt. Die Solidarität gilt dem eigenen Clan, der Staat ist zum Betrügen da. Das endet in regelmäßigen Abständen im Beinahe-Staatsbankrott."

Woher will Rauscher dies wissen? Lasst Tsipras und sein Team arbeiten, wenn er die Wahl gewinnt. Rauscher hat recht, dass Griechenland einen Neuanfang braucht: Ich traue das dieser Syriza mit Tsipras viel eher zu als den Protagonisten der griechischen Misere. (Kurt Bayer, DER STANDARD, 5.1.2015)