Das Objekt ägyptischer Begierde und israelischer Ängste: einer von drei Prototypen des HA (Helwan) 300, jenes Überschallflugzeugs, an dessen – letztlich vergeblicher – Entwicklung Österreicher maßgeblich beteiligt waren.

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Ägyptens Staatschef Gamal Abd al-Nasser ist mit seinem gegen Israel gerichteten Rüstungsprogramm letztlich gescheitert.

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Ex-SA-Mann Brandner beim "Spiegel"-Interview: Er hatte den Ehrgeiz, ein "arabisches Triebwerk" zu entwickeln.

Zu Jahresbeginn 1965 war das Verhältnis zu Israel bereits so vergiftet, dass Außenminister Bruno Kreisky dem Ministerrat versprechen musste, zumindest "einige der Wissenschafter" zu bewegen, sich "nach und nach" aus Ägypten zurückzuziehen. Giftiger Nachsatz Kreiskys in Richtung ÖVP-Finanzminister Wolfgang Schmitz: Das alles wäre leichter, wenn die österreichische Steuergesetzgebung so wäre, dass die Wissenschafter das viele Geld, das sie in Ägypten verdienten, gerne nach Österreich brächten. "Da würden sie sich wieder in die heimatlichen Berge zurückziehen." Die für einen Sozialisten bemerkenswerte Attacke konnte nicht verschleiern: Der Außenminister, sonst so elegant und mit Fortüne agierend, war politisch in Bedrängnis.

Der Historiker Thomas Riegler hat die Protokolle zu dieser denkwürdigen Ministerratssitzung in österreichischen und Schweizer Archiven gehoben. Sichtbar wird damit die Involvierung österreichischer Fachkräfte in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren in die ägyptische militärische Flugzeugproduktion und das Rüstungsprogramm Ägyptens unter Staatschef Gamal Abd al-Nasser von 1958 bis 1969. In der zeitgeschichtlichen Forschung in Österreich sei das bisher eine "Leerstelle" gewesen, sagt Riegler zum Standard.

Militärfabrik 333

Nasser wollte Ägypten zur führenden Macht im Nahen Osten hochrüsten und warb über zwei Tarnfirmen in der Schweiz bis zu 600 Fachkräfte an, die hauptsächlich in zwei Militärfabriken bei Heluan (auch: Helwan), nahe Kairo, eingesetzt wurden. In der Militärfabrik 333 arbeiteten 20 deutsche Forscher, von denen einige schon am V2-Raketenprogramm des Dritten Reichs in Penemünde mitgewirkt hatten, an der Entwicklung zweier Raketentypen: El Kahir (Eroberer) mit einer Reichweite von 560 Kilometern und El-Safir (Sieger) mit einer geplanten Reichweite von 280 Kilometern. Im anderen Werk ging es in der Hauptsache um die Entwicklung eines überschallschnellen Düsenjägers, die HA (Helwan) 300 – und den seriellen Nachbau des Erdkampfflugzeugs HA 200. Willy Messerschmitt, ehemals einer der wichtigsten Flugzeugkonstrukteure im Dritten Reich, hatte den Ägyptern die Lizenz zum Nachbau seines Düsenjägers verkauft.

Die Leitung über das Werk und die Motorenforschung hatte seit 1960 ein Wiener über: Ferdinand Brandner, ab 1932 illegales NSDAP-Mitglied und SA-Obersturmbannführer. Brandner hatte im Zweiten Weltkrieg bei Junkers den damals stärksten Jagdflugzeugmotor mitentwickelt. In Kairo war sein Ehrgeiz, für die HA 300 ein "arabisches Triebwerk" zu entwickeln.

In einem Artikel für das Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies in Graz, das dieser Tage erscheint, beschreibt Riegler, wie Kreisky 1965 in Erklärungsnot geriet: Vergeblich hatte Israel gegen den Know-how-Transfer protestiert. "Forschung für rein friedliche Zwecke, keine Gefahr", winkte die österreichische Regierung ab. Israels Außenministerin Golda Meir reagierte scharf und bestellte den österreichischen Botschafter ein. Israel wisse, dass etwa 350 Österreicher in Ägypten tätig seien. Dabei, sagte Golda Meir, könne es sich "nur um eine Mitarbeit in der ägyptischen Aufrüstung handeln, die sich gegen Israel richtet".

"Nie danach gefragt"

Auch viele andere österreichische Techniker in Ägypten waren Teil des NS-Rüstungsprogramms gewesen. Brandner wählte seine Mitarbeiter selbst aus, und er war nicht pingelig: "Ich habe dieses Team persönlich aus dreißig Lebensjahren ausgesucht, und natürlich waren die Leute vielleicht in der Partei gewesen. Ich habe nie danach gefragt", sagte er zum Spiegel. Brandner wurde in Ägypten zum Millionär – und Österreich legte auch in dieser frühen Phase die Neutralität pragmatisch aus: Der Staat könne Privatpersonen keine Neu tralität verordnen, ließ man Israel wissen.

Geschadet hat das österreichischen Firmen nicht: Aufgrund einer Klausel im Brandner-Vertrag wurden deutsche und österreichische Firmen bei Materiallieferungen bevorzugt – auch die verstaatlichten Böhler-Werke.

Ramponiert hat es vorerst das ohnehin fragile Verhältnis zum Staat Israel. Und die israelischen Ängste wurden von einem weiteren Österreicher genährt. Otto Joklik hatte sich Ende Oktober 1962 in der israelischen Botschaft in Wien vorgestellt und erzählte die Geschichte einer "teuflischen Verschwörung": Schon bald befände sich Tel Aviv in Reichweite ägyptischer Mittelstreckenraketen, deren Gefechtsköpfe mit radioaktivem Abfall gefüllt seien. Das Ziel sei, Israel auszulöschen. Er, Joklik, sei mit falschen Versprechungen nach Kairo gelockt worden, habe aber den Hintergedanken der dortigen Antisemiten, die "Endlösung" technisch voranzutreiben, durchschaut. Joklik gab an, in Westdeutschland, England und Kanada selbst radioaktives Material, vor allem Kobalt und Strontium, besorgt zu haben.

"Operation Damokles"

Die schlimmsten Befürchtungen des Mossad schienen sich zu bestätigen. Geheimdienstchef Isser Harel begann mit seiner "Operation Damokles": Erst versuchte man, deutsche und österreichische Rüstungsforscher mit Drohungen zur Abreise aus Ägypten zu bewegen. Als das nichts fruchtete, reagierte der Mossad mit Entführungen, Schussattentaten und Briefbomben.

Was der Mossad-Chef nicht wahrhaben wollte: Jokliks Biografie als Forscher und politischer Geheimnisträger war größtenteils erfunden. Er kam ursprünglich aus Mährisch-Ostrau (Ostrava)_in Tschechien, im Zweiten Weltkrieg geriet er in britische Kriegsgefangenschaft. 1946 bot er sich in Wien und Salzburg als Dolmetscher für die alliierte Militärpolizei an – und er engagierte sich für das Sammelbecken ehemaliger Nazis, den "Verband der Unabhängigen", aus dem später die FPÖ erwuchs. Wenig später dockte er bei der kommunistischen "Nationalen Liga" an, war auf Du und Du mit sowjetischen Offizieren und schrieb laut Staatspolizei unter Pseudonym feurige linke Artikel. Seine undurchschaubaren Geschäfte führten ihn auch nach Ägypten.

"Betrüger und Scharlatan"

Der mit dem Mossad konkurrierende israelische Militärgeheimdienst Aman monierte, Joklik sei ein "Betrüger und Scharlatan" – es gebe keine Beweise, dass Ägypten versuche, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Als auch noch US-Experten luzide erklären konnten, dass die von Joklik beschriebenen Programme so nicht realisierbar seien, musste Mossad-Chef Isser Harel seinen Sessel räumen.

"Tatsächlich war das Raketenprogramm nie so eine eminente Bedrohung für Israel wie angenommen", sagt Historiker Riegler. Nicht nur israelische Generäle wunderten sich, dass die ominösen Raketen im Sechstagekrieg nicht eingesetzt wurden. Der österreichische Botschafter in Kairo etwa erfuhr schon 1965, dass den ägyptischen Raketen "noch die Steuerungseinrichtung fehlt, was den weitaus am schwierigsten herzustellenden Teil dieser Waffe ausmacht". Aber auch Brandners Prestigeprojekt, die HA 300, kam kaum voran. Schuld daran war weniger der Mossad als eine permanente Budgetüberschreitung, dazu kamen technische Probleme. So passte Brandners Antrieb nicht in den Rumpf.

Während sich die meisten anderen Forscher bis 1967 sukzessive zurückzogen, stemmte sich Brandner am hartnäckigsten, bis 1969, gegen die Schließung "seines" Werks. Die HA 300 mit den "arabischen Triebwerken" ging nie in Serie – lediglich drei Prototypen überlebten das ägyptische Aufrüstungsabenteuer. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 3./4. Jänner 2015)