Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner haben zum Thema "Österreich und Europa" nichts zu sagen. Das gilt nicht nur im übertragenen Sinn. Das ist wörtlich zu nehmen. Denn anders ist kaum zu verstehen, dass sich weder der Bundeskanzler noch sein Vizekanzler zum Jahreswechsel irgendein Forum schufen, um der Bevölkerung eine Orientierung zu geben, wie es weitergeht - nicht nur im Land selber mit Hypo-Problemen und Steuerreformplänen.

Am zwanzigsten Jahrestag des Beitritts Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft am 1. Jänner 1995 hätte man sich von den Spitzen der Regierung beziehungsweise Chefs der beiden großen Koalitionsparteien erwarten können, dass sie einen weiteren Ausblick geben; dass sie auch sagen, was dieser Staat im unruhigen europäischen Umfeld - gemeinsam mit seinen EU-Partnern - erreichen möchte.

Anlässe dafür gibt es genug, nicht nur wegen der Bürgerkriegskatastrophe in Syrien, des Terrors der Islamisten, der Spannungen in der Ukraine, wegen der immer heftiger werdenden Flüchtlingswellen, die auf Europa zukommen. In wenigen Monaten gibt es Neuwahlen in Griechenland und Großbritannien, jeweils mit EU-Austrittsdrohungen.

Politisch und wirtschaftlich derart turbulent ist es in der Union seit 1989 und Folgejahren nicht mehr zugegangen. Österreich war dem besonders ausgesetzt, nicht zuletzt während der vier Balkankriege, vor denen Zigtausende nach Norden flüchteten, die heute in der Regel gute österreichische Staatsbürger sind.

Österreich ist vom Schicksal Europas wegen seiner Lage abhängiger als andere Länder. Es gäbe also viel zu sagen, viel einzuordnen seitens der Regierung. Sie hätte viel zu tun, um die Bürger nicht allein zu lassen mit all den Verunsicherungen.

Stattdessen herrscht Funkstille. Die Regierung übt sich in Sachen EU-Zukunft in Ignoranz. Für mehr als ein paar dürre Zeilen im Originaltextservice der Austria Presse Agentur, in denen Faymann und Mitterlehner Allgemeinplätze zum EU-Beitritt zum Besten gaben, hat es nicht gereicht.

Bundespräsident Heinz Fischer machte es nicht viel besser. Der europäische Zusammenhang kam in seiner Neujahrsansprache kaum vor.

Es fällt auf, wie stark der Blick der Politik nach innen gerichtet ist, aus lauter Angst vor einer immer lauter auftretenden nationalpopulistischen Opposition. Würden nicht die "Beitrittskanzler" Franz Vranitzky und Erhard Busek seit Wochen in Interviews erklären, warum und wie sehr sich Österreich seit den 1980er-Jahren verändert hat (und auch verändern musste), man könnte glauben, SPÖ wie ÖVP weigerten sich, sich bestimmten Realitäten zu stellen. Eine davon ist: Österreich ist längst nicht mehr eine rein souveräne Republik. Das Land ist seit dem EU-Beitritt, mit der Aufhebung der Grenzkontrollen und der Einführung des Euro inzwischen untrennbar auch Teil der Union der EU-Staaten, mit denen es Souveränitätsrechte teilt.

Wir sind beides zugleich, Republik und Union, Staatsbürger und Unionsbürger. Es sind historische Tatsachen, so wie der Abschluss des Staatsvertrages. "Ein Narr, wer sich der Geschichte verweigert", schrieb NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann in seinem Kommentar zum Jahresausklang, in dem er sich leidenschaftlich dafür ausspricht, mutig nach vorne zu blicken, das Kommende zu meistern und nicht das Vergangene, das Nationale zu verklären. Er hat recht. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 2.1.2015)