Norbert Lesers Hauptarbeitsgebiete waren die Marxismus- und Sozialismusforschung, die österreichische Zeitgeschichte sowie die Gesellschaftsphilosophie und Wissenschaftstheorie.

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Wien – Er war unter den Sozialdemokraten einer der konservativsten – und gleichzeitig einer der kenntnisreichsten Denker. Wobei zum Schluss nicht einmal sicher war, ob man Norbert Leser der SPÖ zurechnen konnte, denn nach eigenem Bekunden zahlte der Politikwissenschaftsprofessor, für den Herta Firnberg 1971 einen Lehrstuhl an der Uni Salzburg geschaffen hatte, keinen Mitgliedsbeitrag mehr. Leser starb am Mittwoch in Eisenstadt.

Denn er hatte sich nach und nach mit vielen, wenn nicht mit allen zerstritten. Von Friedrich Torberg in die Redaktion der damaligen Intellektuellenzeitschrift "Forum" geholt, brach er mit deren späteren Chef Günther Nenning 1970 wegen dessen Kampagne gegen das Bundesheer.

Zuvor hatte er sich den Groll der alten Garde in der SPÖ zugezogen, weil er sich in der Auseinandersetzung zwischen dem (relativ) jungen Bruno Kreisky und dem langjährigen Vizekanzler Bruno Pittermann auf die Seite Kreiskys gestellt hatte. Dabei blieb stets unbestritten, dass Leser fundierte Kenntnisse der Parteigeschichte hatte: Er hatte den Austromarxismus in seiner Habilitationsschrift "Zwischen Reformismus und Bolschewismus" treffend analysiert und wesentlich an der Versöhnung von Christentum und Sozialismus mitgewirkt. Zuletzt kritisierte er insbesondere die Selbstfesselung der SPÖ in der Koalition.

1933 im Burgenland geboren

Leser wurde am 31. Mai 1933 in Oberwart im Burgenland geboren. Der Neffe des SPÖ-Politikers und ersten burgenländischen Landeshauptmannes nach Kriegsende, Ludwig Leser, studierte Rechtswissenschaften und Soziologie an der Universität Wien und wurde dort promoviert.

Ab 1971 war Leser der erste Ordinarius für Politikwissenschaft an der Uni Salzburg, 1978 wurde er Honorarprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Wien. Von 1980 bis zu seiner Emeritierung 2001 hatte Leser das Ordinariat für Gesellschaftsphilosophie an der Universität Wien inne. Privat schätzte der Politikwissenschafter unter anderem Musik und Gesang – so stand Leser etwa 2002 beim Wienerlied-Festival "Wean hean" auf der Bühne.

Marxismus- und Sozialismusforschung

Lesers Hauptarbeitsgebiete waren die Marxismus- und Sozialismusforschung, die österreichische Zeitgeschichte sowie die Gesellschaftsphilosophie und Wissenschaftstheorie. Immer wieder stand in Lesers Werk die österreichische Sozialdemokratie im Fokus, er selbst zählt zum SPÖ-"Urgestein". Dabei übte er aber auch immer wieder heftige Kritik und kommt z. B. in seinem Buch "Das Salz der Gesellschaft" (1988) zu dem Schluss, dass der Sozialismus wie das Gewürz "nur in entsprechender Dosis bekömmlich" sei. Er habe sein Hauptziel – die überlegene Alternative zum Kapitalismus zu werden – verfehlt.

Zu den von seinen Genossen wahrgenommenen Widersprüchlichkeiten in Lesers Leben und Geisteshaltung gehört auch sein Verständnis für die untergegangene Habsburgermonarchie. Mehrfach hat er sich in der Hinsicht geäußert, dass die Monarchie gerettet worden wäre, wenn der Kaiser die Sozialdemokratie rechtzeitig in die Regierung eingebunden hätte.

Lesers schwarz-gelbe Nostalgie manifestierte sich auch in einer Mitgliedschaft in der katholisch-österreichischen Landsmannschaft Maximiliana, einer besonders konservativen und dem ehemaligen Kaiserhaus verbundenen Studentenverbindung, die ihm auch das Ehrenband verliehen hat. Ihm sei lieber, wenn ihm Band und Deckel ins Grab nachgeworfen würden als die drei Pfeile, die lange Jahre Symbol der Sozialistischen Partei waren, sagte Leser mehrfach.

Faymann als "Ausgeburt des Apparats"

SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Werner Faymann bezeichnete Leser 2009 als "Ausgeburt des Apparats". Im Zuge der Bundespräsidentenwahlen 2004 und 2009 wurde auch Lesers Einschätzung zum "Überlebenskünstler Heinz Fischer", den er auch als "bösen Geist der SPÖ" beschrieb, immer wieder zitiert. In seinen letzten Publikationen urteilte Leser dann allerdings deutlich milder.

Leser erhielt unter anderem den Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis des Österreichischen Journalisten-Clubs, den Theodor-Innitzer-Preis und war Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Seit 1992 war er Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1999 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften. (cs, derStandard.at/APA, 1.1.2015)