Die großen Themen im Berufsleben tragen eine Überschrift: Paradoxien. Wie (un)auflösbar diese Widersprüche sind, ob der Paradigmenwechsel im Wandel steckenbleibt oder ob das Neue schon ankommt - viele dieser Fragen warten auf Antwort. Für Karrieren - ob Einsteiger- oder Führungsjobs - bedeutet das besonders hohe Anforderungen an das sogenannte Selbstmanagement, an die Selbstführung.

Selbstkompetenzen Wenn kaum etwas berechenbar ist, wenn es für die neue Zukunft keine Vorbilder gibt, die Geschäftsmodelle fast aller traditionell bekannten Branchen im Umbau sind, Komplexität und Tempo weiter zunehmen, dann wird dem Selbst viel abverlangt: Es geht um Wendigkeit und Agilität, gleichzeitig aber auch um Biegen statt Brechen (Resilienz).

In der Managementsprache heißt das derzeit Ambidextrie - also eine Beidhändigkeit, ein permanenter Spagat zwischen Alt und Neu, zwischen Bewahren und Neubauen. Widersprüchlich: Individuell geht es um Selbstreflexion bei gleichzeitiger Selbstinszenierung, um Einsatz des Erfahrungswissens bei gleichzeitiger Aneignung neuer Techniken, um Vertrauen und Loslassen bei parallel immer kontrollierendem Blick auf die sich rasend schnell entwickelnden Veränderungen und deren Einfluss auf den eigenen Berufsweg.

Zur Entspannung fähig zu sein, um unter dem Druck nicht zu brechen, wird sich als zentrale Kompetenz in dieser Unübersichtlichkeit ebenso herausstellen wie die Fähigkeit zur Kollaboration. Auch jene Zusammenarbeit mit Menschen mit ähnlichem Anliegen, die in neuen Konstellationen Neues in die Welt bringen wollen.

Automatisierung vs. Individualisierung, Flexibilität vs. Starre Wenn Big Data als große Errungenschaft auch als Bestimmer über Karrieren in die Jobwelt einzieht und Algorithmen sich elektronisch von den Betroffenen unbemerkt zusammensuchen, wofür man geeignet ist, wenn Studien zufolge (Brüsseler Thinktank Bruegel) im Laufe der kommenden 20 Jahre mehr als die Hälfte aller derzeitigen Jobs in Österreich durch Computer oder Roboter ersetzt werden können, zeigt das nicht nur nie da gewesene(n) Automatisierung(sglauben) - sondern auch das Gegenstück: Individualität als das Besondere wird wichtiger. Noch ist der Widerspruch sehr groß, etwa wenn es ums Recruiting geht - schablonisierte E-Formulare, die jedes besondere, individuelle Talent garantiert durchfallen lassen bei gleichzeitigem Ruf nach "Persönlichkeiten".

Ebenso die überwiegend - trotz Credos des Zeitalters der "Patchwork-Biografien" - noch engen Jobprofile bei gleichzeitigem Ruf nach "Innovation". Kaum anders in den meisten Fragen der Arbeitsorganisation: zu viel Arbeit für die einen, zu wenig (oder gar keine) für die anderen. Der Imperativ totaler Individualisierung in Flexibilitätsfragen bei gleichzeitig sehr starren gesetzlichen Vorgaben. Wer durch diese Widersprüche durchwill, braucht - erneut - Agilität und Resilienz. Und ausreichend Selbstvertrauen, den individuellen Weg auch durch die Automatisierung zu gehen.

Diversity Besonders deutlich sichtbar war schon in den vergangenen Jahren der Widerspruch zwischen dem Mantra, wie sehr die Vielfalt der Belegschaften dem Wohle des Unternehmens diene, und der gleichzeitig sehr schroffen Vereinheitlichung: hier die Unterordnung der Diversity unter klassische maskuline Dominanzkulturen in all ihren Ausformungen wie etwa dem Leistungsnachweis via Anwesenheit, dort das Aussortieren der Älteren (siehe rasant steigende Arbeitslosigkeit 50+) bei gleichzeitig tüchtigem Anheizen der Pensionsdebatte. Hier das hilflose Schulterzucken, man finde ja keine Frauen, dort die Erklärung, man würde ja gerne Junge in die Lehre nehmen, allein: Die können nichts. So lassen sich viele Dimensionen der Diversity in aller Widersprüchlichkeit durchdeklinieren.

Die demografische Kurve (Überalterung) und Gesetzeskeulen (Frauenquoten) und der soziale Sprengstoff etwa der Jugendarbeitslosigkeit bringen allerdings zunehmend Kraft in Richtung Auflösung der Widersprüche in diesen Bereichen. Individuell bedeutet das wieder, wendig und widerstandsfähig den Weg zu gehen - etwa als Frau, die ihre Karriere machen möchte und sich vorübergehend mit dem Pickerl "Quotenfrau" zu beschäftigen hat. Oder als Generationen in einer Belegschaft, die einander nun gegenüberstehen und neue Wege des Arbeitens und voneinander Lernens suchen, oder als "Aussteiger", die jetzt Gleichgesinnte suchen, um als selbstständige (Sozial-)Unternehmer mithelfen wollen, Paradoxien aufzulösen. (DER STANDARD, 27.12.2014)