Viereinhalb Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise leistet sich Griechenland ein neues Hasardeurstück: vorgezogene Parlamentswahlen, einen möglichen Machtwechsel zur radikalen Linken, und alles zu einem Zeitpunkt, wo das Ende des Kredithilfeprogramms immer noch verhandelt und ein Finanzgerüst für die Zukunft aufgestellt werden muss. Denn allein kann Griechenland nicht stehen. Aber allein in den Abgrund oder bestenfalls in ein halbes Jahr Murks und Reformpause, bis sich eine neue Regierung wieder gefangen hat, kann es sich nun sehr wohl bugsieren.

Regierungschef Antonis Samaras hat die politische Zwangslage kommen sehen, die durch die Wahl eines neuen Staatschefs im griechischen Parlament und die angedrohte Blockade der Abstimmung durch die vereinigte Opposition der Sparkursgegner entstand. Aber Samaras glaubte und glaubt immer noch, seine konservative Nea Dimokratia könnte diese Partie herumdrehen. Er ist ein Spieler.

Statt die Verhandlungen mit der Troika von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds über die Auszahlung der letzten 1,8 Milliarden Euro abzuschließen, hat Samaras lieber die Präsidentenwahlen vorgezogen. Statt einen Kandidaten mit parteiübergreifendem Profil zu nominieren oder gar einen linken Politiker, wie es der konservative Premier Kostas Karamanlis 2005 erfolgreich tat mit dem heute noch amtierenden Karolos Papoulias, entschied sich Samaras für seinen stellvertretenden Parteivorsitzenden, den früheren EU-Umweltkommissar Stavros Dimas.

Dass Syriza, das Bündnis der radikalen Linken, in wenigen Wochen die vorgezogenen Parlamentswahlen gewinnen wird, ist keineswegs ausgemacht. Syriza führt in den Umfragen und hat die Europawahlen im vergangenen Mai mit großem Vorsprung für sich entschieden. Jetzt aber geht es um eine Angstkampagne und frohen Populismus. Die dreisteren Versprechen werden gewinnen.

Samaras und seine Gefolgsleute malen den Griechen Schreckgemälde an die Wand für den Fall, dass der Reformkommunisten- und Humanitärsozialistenklub Syriza erstmals die Regierung übernimmt: Bankkonten gesperrt, Ende des Euro, alle Sparopfer seit dem ersten Kredithilfepaket vom Mai 2010 umsonst. Syriza-Chef Alexis Tsipras, ein Berufspolitiker wie Samaras ohne große Erfahrung im realen Arbeitsleben, verkündet dagegen schon das Ende der Kreditprogramme und die Befreiung der Griechen von der finanziellen Bevormundung durch Deutschland und die EU.

Auch Tsipras ist ein Spieler. Er hat gewartet, bis das Hilfsprogramm der Troika mit all seinen Auflagen zu Ende geht, Griechenland statistisch gesehen aus der Rezession ist und er selbst sein heterogenes Parteienbündnis halbwegs gefestigt hat. Syrizas Wunsch nach einem Politikwechsel, nach Korrektur der Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen, die einen großen Teil der griechischen Bevölkerung verarmt und kleine und mittelständische Unternehmen zerstört haben, ist wohl aufrichtig. Das Wegwischen von Realitäten des Finanzmarkts und der Haushaltsgestaltung ist es nicht. Wie eine Syriza-Regierung die Streichung der griechischen Staatsschulden erreichen will, ist nicht ersichtlich. Vielleicht fällt ja den Kreditgebern etwas ein. Ihr Beharren vor allem auf weiteren Pensionskürzungen hat zu den Neuwahlen beigetragen. Hasardeure sind auch sie. (Markus Bernath, DER STANDARD, 30.12.2014)