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Experten sind sich einig: E-Zigaretten enthalten weniger Schadstoffe als Tabakrauch. Befürchtet wird jedoch, dass die Nikotinverdampfer ein neues Lifestyleobjekt werden könnten und langfristig eine Art Einstiegsdroge für krebserregenden Zigarettenkonsum werden.

Foto: REUTERS/Christian Hartmann/Files

Das Prinzip ist einfach. 2003 kamen in Hongkong die ersten elektronischen Zigaretten auf den Markt. In den Kleingeräten wird kein Tabak verbrannt, sondern ein Flüssiggemisch auf Basis von Propylenglykol oder Glycerin, das verdampft. Man inhaliert Nikotin, aber ohne Rauch und Teer.

Inzwischen erfreuen sich die Dampfstängel weltweit wachsender Popularität. In den USA zum Beispiel stieg die Anzahl der Nutzer in der Gesamtbevölkerung von 0,6 Prozent im Jahr 2009 auf 6,2 Prozent 2011 - eine Verzehnfachung in nur drei Jahren. Diesseits des Atlantiks wächst der Markt zwar nicht so rapid, doch auch hier nimmt der elektronische Nikotinkonsum zu.

Welche Auswirkungen der Trend aus medizinischer und gesundheitspolitischer Sicht haben wird, darüber sind sich Experten keinesfalls einig. Manche sehen in der E-Zigarette eine nützliche Technologie, die Raucher bei der Entwöhnung unterstützen kann, andere dagegen warnen vor neuen Risiken. Die Geräte sind vor allem bei jungen Menschen beliebt, erklärt Martina Pötschke-Langer, Medizinerin am Deutschen Krebsforschungsinstitut (DKFZ) in Heidelberg. Dadurch könne auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Tabak und Co wieder zunehmen. "Wir befürchten, dass die Jugendlichen über die E-Zigarette ins Rauchen einsteigen." Eine neue US-Studie scheint diese Sorge zu bestätigen. Demnach würden dampfende Schüler doppelt so oft zum Konsum von normalen Zigaretten neigen (Nicotine & Tobacco Researchdoi: 10.1093/ntr/ntu 166).

Die elektronischen Nikotinspender scheinen für viele Benutzer eine Art Lifestyle-Accessoire zu sein. Man kann seinen Dampfapparat sogar von Spezialfirmen individuell gestalten lassen. Es gibt "Vaper-Communitys", deren Mitglieder im Internet ihre Expertise austauschen und sich auch zu Veranstaltungen treffen. Wie stark sich einige Dampfer mit ihrer Leidenschaft identifizieren, lässt sich beim Stöbern in den einschlägigen Foren erahnen. Dort werden Kritiker der E-Zigarette schnell einmal der vorsätzlichen Lüge bezichtigt. Die Debatte nimmt seltsame Züge an.

Nüchtern betrachtet

In der Tat sind die meisten Benutzer von E-Zigaretten jünger als reguläre Raucher, sagt der Psychologe Peter Hajek von der Londoner Queen Mary University. Auch seien die Dampfer im Vergleich zu Tabakkonsumenten im Schnitt besser gebildet und verfügten über ein höheres Einkommen. "Es ist eben eine neue Technologie", sagt der Wissenschafter trocken. Wer sich für allerlei IT-Gadgets begeistert, wird auch schneller zum Dampfstängel greifen als Angehörige anderer Bevölkerungsschichten. Letztere bleiben eher beim Rauchen. "Wir sollten deshalb intensiv daran arbeiten, dass Menschen aus unterprivilegierten Gruppen ebenfalls zur E-Zigarette wechseln", sagt Hajek. Das würde vielen das Leben retten.

Hajeks Argumentation beruht unter anderem auf einer Erhebung, die er gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien, den USA und der Schweiz durchgeführt hat. Die Experten verglichen dabei die Ergebnisse von insgesamt 81 Studien zum Thema E-Zigarette und fassten diese zusammen (vgl.: Addiction, Bd. 109, S. 1801).

Ihr Fazit: Der elektronisch erzeugte Dampf enthält viel weniger Schadstoffe als Tabakrauch und dürfte somit auch auf lange Sicht wesentlich weniger Gesundheitsschäden verursachen - falls überhaupt welche auftreten sollten. E-Zigaretten scheinen Nichtraucher und Kinder auch nicht verstärkt zu Nikotinkonsum zu verleiten. Stattdessen helfen die Dampfgeräte manchem Qualmer dabei, mit dem Rauchen aufzuhören. Die E-Zigaretten könnten somit dazu beitragen, die rauchbedingte Morbidität und Mortalität zu senken, meint das Forscherteam.

Martina Pötschke-Langer vom DKFZ ist etwas skeptischer. Das Konsumverhalten des Einzelnen ist entscheidend, und es gibt noch zu viele offene Fragen, erklärt die Ärztin. "Ein vollständiger Umstieg könnte möglicherweise das Gesundheitsrisiko senken." Bei Personen, die von beiden Nikotinquellen Gebrauch machen, sei ein solcher Vorteil allerdings nicht erkennbar. "Und wir wissen noch nicht, was das Chemikaliengemisch aus E-Zigaretten mit dem vorgeschädigten Bronchial- und Lungengewebe von Rauchern macht." Schließlich wurden im Dampf einige karzinogene Stoffe wie Acetaldehyd, Acrolein und Formaldehyd nachgewiesen (vgl.: Tobacco Control, Bd. 23, S. 133). Dennoch attestiert auch Pötschke-Langer dem Rauchersatz einen viel geringeren Gehalt an krebserregenden Substanzen als dem Original.

Wirtschaftliche Interessen

Woran sich Peter Hajek und sein Team am meisten stoßen, sind die Forderungen mancher Kritiker, Verkauf und Nutzung von E-Zigaretten stärker zu regulieren als Tabakwaren oder gar ganz zu verbieten. In Österreich zum Beispiel fallen die nikotinhaltigen Nachfüllflüssigkeiten unter das Arzneimittelgesetz. Die Dampfgeräte machen das Rauchen nicht populärer, sagt Hajek. "Für Nichtraucher sind sie einfach nicht attraktiv." In Großbritannien habe sich der Rückgang des Tabakkonsums in den vergangenen Jahren beschleunigt - gleichzeitig mit der zunehmenden Nutzung der elektronischen Alternative. "In Frankreich gibt es eine ähnliche Entwicklung." Duale Dauernutzer gebe es praktisch nicht, erklärt der Wissenschafter. "Es sind konkurrierende Produkte." Langfristig werde die E-Zigarette die viel gefährlicheren Glimmstängel ersetzen. Eine Überregulierung würde jedoch die technische Weiterentwicklung der elektronischen Nikotinspender stoppen. "So schützt man nur den Absatz von normalen Zigaretten."

Die DKFZ-Experten plädieren vor allem für einen strikten Jugendschutz - kein Verkauf an Minderjährige - und ein erweitertes Werbeverbot. Auch sollte der Gebrauch im öffentlichen Raum denselben Restriktionen unterliegen wie das Rauchen. "Wir wollen die Erfolge nicht leichtfertig aufs Spiel setzen", sagt Martina Pötschke-Langer. Und auch Peter Hajek meint: "Am besten ist es natürlich, wenn man komplett aufhört." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 27.12.2014)