Ankara/Wien - Nach zwei Tagen Haft ist ein 16-jähriger türkischer Schüler, der wegen angeblicher Beleidigung von Staatschef Tayyip Erdogan festgenommen worden war, am Freitag auf Antrag seines Anwalts freigekommen. Das Strafverfahren gegen Mehmet A. läuft allerdings weiter. Der Gymnasiast war am Mittwoch in seiner Schule in Konya von Polizeibeamten im Klassenzimmer festgenommen und vor den Augen seiner Schulkameraden und des Lehrers abgeführt worden.

Erdogans Anwälte hatten in der Vergangenheit schon Prozesse gegen Schüler angestrengt, die auf Demonstrationen zum Beispiel das "Glühbirne Tayyip"-Lied anstimmten; Erdogans konservativ-muslimische Regierungspartei AKP trägt als Symbol des Fortschritts eine Glühbirne im Logo. Verhaftungen von Minderjährigen wegen Beleidigung staatlicher Vertreter gab es in der Türkei aber seit dem Putsch von 1980 nicht mehr. Der Vorfall löste große Empörung im Land aus. 100 Rechtsanwälte aus Istanbul kamen in die erzkonservative Stadt Konya, die Hochburg von Premier Ahmet Davutoglu, um den Antrag von Mehmet A.s Anwalt zu unterstützen.

"Faschistischer Druck"

Der Schüler soll bei einer Rede am Dienstag gesagt haben, er betrachte Erdogan als einen "Führer der Korruption". "Wir werden uns nicht dem faschistischen Druck beugen", erklärte Mehmet A. nach seiner Freilassung mit erstickter Stimme. Die meisten türkischen Medien achteten darauf, das Gesicht des 16-Jährigen unkenntlich zu machen und seinen Namen nicht auszuschreiben. Medienberichten zufolge bereitet die Regierung einen neuerlichen Vorstoß zur Internetzensur vor; der Premier soll künftig missliebige Inhalte ohne gerichtlichen Beschluss blockieren können. (Markus Bernath, DER STANDARD, 27/28. Dezember 2014)