Geschwätzig, eitel, schizophren: Papst Franziskus hat Kardinäle, Bischöfe und Priester in beispielloser Weise kritisiert. Er tat dies in seiner Weihnachtsansprache - wohl wissend, dass diese Drohbotschaft statt der erwarteten Frohbotschaft ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Er hatte nicht nur die Mitglieder der Kurie vor Augen, sondern die Glaubensgemeinschaft im Blick: vor allem jene, die auf Reformen in der katholischen Kirche hoffen. Das Signal, das das Kirchenoberhaupt setzen wollte, war nicht nur an die direkt Angesprochenen innerhalb der Mauern des Vatikans gerichtet, sondern auch nach draußen: Es ist mir ernst mit Reformen! Ein Angriff als Verteidigung. Gleichzeitig offenbarte der Papst, wie einsam er im Vatikan ist und dass er sich von Blockierern in der nächsten Umgebung umzingelt sieht.

Auf dem auf der Vatikanwebsite abrufbaren Video ist die Überraschung auf den Gesichtern der düpierten Würdenträger deutlich zu sehen und ihr zögerlicher Beifall. Ganz so erstaunt dürften sie nicht gewesen sein, denn schon im Vorjahr hatte sich Franziskus von der Kurie mehr Professionalität und "Dienstcharakter" gewünscht.

Aus dem Wunsch ist nun eine Kritik geworden, die der Argentinier in - für europäische Verhältnisse - ungewöhnlicher Art präsentiert hat. Er wählte für einen Lateinamerikaner typische Ausdrücke und Beschreibungen und griff manchmal zu schiefen Sprachbildern wie "spirituelles Alzheimer" oder "Terrorismus des Geschwätzes". In Lateinamerika herrscht weniger Scheu vor verbalen Kraftausdrücken. Dass er seine Kritik anhand von 15 Krankheiten formuliert, zeugt von seiner langen Zeit als Seelsorger in einer Region, in der versucht wird, den Menschen mit anschaulichen Beispielen den Glauben nahezubringen.

Dass er die römische Zentralverwaltung reformieren will, hat er schon nach seinem Amtsantritt deutlich gemacht. Mit diesem öffentlichkeitswirksamen Schritt versucht er einen Befreiungsschlag, selbst auf die Gefahr hin, damit einen dramatischen Autoritätsverlust zu provozieren. Er zeigt damit aller Welt, dass sich sein unmittelbares Umfeld seinem Reformwillen und dem von ihm vorgegebenen Tempo widersetzt - und damit letztendlich seiner Autorität.

Seit Franziskus' Amtsantritt vor zwei Jahren ist Bewegung in Fragen der kirchlichen Lehre gekommen. Die Familiensynode im Oktober hat sich mit heißen Eisen befasst wie Scheidungen, Sexualmoral, Homosexualität. Dabei gab es heftige Debatten. Es werden nicht nur etablierte Strukturen infrage gestellt, sondern auch Grundsätze der kirchlichen Lehre. Während das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er-Jahren drei Jahre Zeit hatte, um Reformen zu diskutieren, soll die Familiensynode schon im kommenden Oktober zu Ergebnissen kommen.

Der Papst drückt aufs Tempo, weil ihm der Bedeutungsverlust der katholischen Kirche bewusst ist. Das Weihnachtsfest hat für immer weniger Menschen eine religiöse Bedeutung, vielmehr wird es als Familienfeier wahrgenommen. In Lateinamerika sind Evangelikale auf dem Vormarsch. Dieser Papst hat Hoffnungen geweckt, er hat sich bisher aber nicht durch- und noch nichts umgesetzt. In Rom ist ein Machtkampf im Gang. Ob Reformer oder Beharrungskräfte reüssieren, wird das nächste Jahr zeigen. Franziskus bewegt die katholische Kirche immerhin. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 24.12.2014)