Mit feinem Strich erweckt Isao Takahata die legendäre japanische Mondprinzessin Kaguya zum Leinwandleben.

Foto: Polyfilm

Wien - Ein nicht mehr ganz junger Mann entdeckt bei seiner Arbeit im Bambuswald ein seltsames, lichtes Pflänzchen: Zwischen steilen, spitzen Blättern lugt alsbald ein sorgfältig frisiertes Köpfchen hervor, das lächelnde Wesen entpuppt sich als Mensch im Miniaturformat (und im Miniaturkimono). Der Mann trägt es vorsichtig nach Hause zu seiner Frau. Die beiden werden das püppchenhafte weibliche Wesen, das sich zu einem gewöhnlichen Säugling wandelt, großziehen. Und sie werden mit diesem "Geschenk des Himmels" noch so manche Überraschung erleben - nicht nur, dass es viel schneller wächst als andere Kinder, weitere Gaben fallen ihnen buchstäblich zu.

Irgendwann fasst der Bambusschneider deshalb auch den Entschluss, seinem "Bambussprössling" eine für eine Himmelsprinzessin standesgemäße Erziehung zukommen zu lassen, und die Familie bezieht ein Anwesen in der alten Hauptstadt. Und wie in vielen Märchen auf der ganzen Welt stehen dann irgendwann auch Männer auf der Matte, die um die Prinzessin werben.

Japanische Volkssage

Der Stoff, den sich der inzwischen 79-jährige Animationsfilmmeister Isao Takahata (u. a. Die letzten Glühwürmchen, 1988; Meine Nachbarn, die Yamadas, 1999) für seine lange erwartete neue Regiearbeit ausgesucht hat, ist ein Stück Kulturgeschichte: Bei Die Legende der Prinzessin Kaguya (Kaguyahime no monogatari) handelt es sich um eine japanische Sage, die vor über tausend Jahren zum ersten Mal schriftlich festgehalten wurde. Und auch wenn die Geschichte seither in vielen Formen erzählt wurde, hat Takahata nun den ersten abendfüllenden Animationsfilm über die Mondprinzessin gestaltet.

Wie im letzten Film seines Studiokollegen Hayao Miyazaki (Wie der Wind sich hebt) ist auch in Takahatas Kaguya Platz für den Traum vom Fliegen. Aber der Mitbegründer des inzwischen selbst legendären japanischen Animationsfilmstudios Ghibli hat dem Märchen in erster Linie eine sehr weltzugewandte Note gegeben.

Beispielsweise wenn er dem Kleinkind Kaguya dabei zusieht, wie es ungelenk die Welt entdeckt (und dabei kleinkindliche Bewegungsmodi und deren groteske Nebenwirkungen sehr "realistisch" ins Animationsbild übersetzt). Wenn er Momente einstreut, in denen eine unwillkürliche Berührung die Verbundenheit von Ziehmutter und Tochter sichtbar und nahezu spürbar macht. Oder wenn er die innere Zerrissenheit der jungen Kaguya vermittelt, die es aus ihrer dann sehr behüteten Umgebung immer wieder ins Freie - und in die Freiheit - zieht.

Auf den ersten Blick sehr schlicht, entfalten die zarten, aquarellartig hingetupften und hingetuschten Szenen trotzdem intensive Wirkung - da genügt ein kurzer Windhauch im hellgrünen Laub. Der Umstand, dass die tendenziell in Pastelltönen gehaltenen Szenerien häufig wie ausgeräumt erscheinen, lenkt den Blick umso mehr auf Details. Auch wenn Takahatas Stil "lieblicher" und naturalistischer scheint als der seines Weggefährten Miyazaki, so liegen oft genau in diesen Kleinigkeiten Widerhaken. (Auch die Prinzessin versteht es schließlich, durch ihr Detailwissen so manchen missliebigen Bewerber als Schwindler zu enttarnen.)

Standesgemäße Musik

Die Originalmusik zu Die Legende der Prinzessin Kaguya hat im übrigen kein Geringerer als der bewährte Joe Hisaishi beigesteuert, der lange als Hauskomponist von Takeshi Kitano fungierte und der jetzt auch für die Mondprinzessin den richtigen (Pop-)Ton trifft. Nicht nur aus diesem Grund ist Isao Takahatas Film eine feine Kinoalternative zum üblichen Weihnachtsprogramm. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 24.12.2014)