"In harten Zeiten muss man zeigen, dass man die Nerven hat, die richtigen Weichen zu stellen und das Wesentliche und das weniger Wesentliche auseinanderzuhalten", sagt Werner Faymann. Inhaltlich setzt er jetzt auf den Kampf gegen die Macht der Großkonzerne.

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STANDARD: Es gibt heftige Spekulationen über Ihren möglichen Nachfolger als Parteichef und Bundeskanzler, es heißt, Sie seien in der Krise. Wie gehen Sie damit um?

Faymann: Nach sechs Jahren sind diese Spielchen nicht neu für mich. Eine Zeit lang habe ich öfter gelesen, Michael Häupl wird mein Nachfolger, dann war es Gabi Burgstaller, eingetreten ist das alles nicht. Spekulationen gibt es immer, diese Spielchen sind halt beliebt, nicht nur in meiner Amtszeit. Ich beziehe das nicht auf mich. Ein Bundeskanzler hat Wesentlicheres zu tun, als sich daran zu beteiligen.

STANDARD: Sie nehmen das so hin?

Faymann: Ein Bundeskanzler muss allerlei aushalten. Wenn man das nicht will, kann man den Job nicht machen. Mich bringen diese Spielchen nicht aus der Ruhe, da wäre ich kein guter Kanzler. In Zeiten von wirtschaftlichen Problemen muss man andere Prioritäten setzen. 26 Millionen Arbeitslose in Europa sind wichtiger, als sich damit auseinanderzusetzen, wer über wen spekuliert. In harten Zeiten muss man zeigen, dass man die Nerven hat, die richtigen Weichen zu stellen und das Wesentliche und das weniger Wesentliche auseinanderzuhalten.

STANDARD: Sie gehen davon aus, dass Sie als Parteichef und Bundeskanzler fest im Sattel sitzen?

Faymann: Ich bin Bundeskanzler, ich gehe davon aus, dass ich auch die nächsten Jahre politisch gestalten werde. Dann werde ich wieder antreten.

STANDARD: Bei den SPÖ-Parteitagen wird immer sehr beherzt diskutiert. Gibt es nicht Überlegungen, dass man sich schon vor dem Parteitag mit der Jugend und den Kritikern zusammensetzt und die offenen Punkte ausdiskutiert, statt das erst bei der Wahl des Parteivorstands eskalieren zu lassen?

Faymann: Taktisch ist das richtig. Ein Parteitag hat natürlich auch eine Wirkung nach außen, den sollte man nicht überfrachten mit internen Diskussionen. Es steht nirgends im Statut, dass der Parteitag eine Art Pressekonferenz sein soll. Eigentlich das Gegenteil: Der Parteitag ist für die Meinungsbildung zuständig, deshalb hat die Sozialdemokratie im Unterschied zu den anderen Parteien die Tradition, hunderte Anträge über viele Monate zu diskutieren. Das wird in den Jugendorganisationen und den Landesparteien erarbeitet und beschlossen, das gehört zum Leben in der SPÖ dazu.

STANDARD: Die Abreibung, die Sie dann als Parteichef erhalten, gehört das auch zum Leben in der SPÖ dazu?

Faymann: Einen Grundkonflikt kann man nicht abstreiten. Es gibt in der SPÖ viele, die sagen, die SPÖ und die ÖVP sind weit auseinander, gerade in wesentlichen Fragen wie vermögensbezogenen Steuern, Rechte von Arbeitnehmern, Gleichberechtigung oder in der Frage von Konzernen und deren Möglichkeiten. Da sind wir so weit auseinander, dass sich viele die Frage stellen: Kann man mit der ÖVP überhaupt regieren? Das ist eine ständige Diskussion bei uns, die gibt es umgekehrt sicher auch bei der ÖVP. Denen wird auch aufgefallen sein, dass wir in wesentlichen Fragen nicht ganz dieselbe Meinung haben, sondern mehr als diesen viel zitierten kleinen Unterschied haben. Das braucht man auch nicht unter den Teppich kehren. Es gibt viele in der SPÖ, die genau das diskutieren wollen.

STANDARD: Eine unangenehme Aufgabe: Sie müssen nach innen hin die Position der ÖVP verteidigen und den Kompromiss schönreden.

Faymann: Die große Koalition hat Österreich stabil gemacht, das sage ich immer dazu. Die Wahrheit ist aber auch: Es ist dieselbe ÖVP, auch wenn Mitterlehner sie jetzt anführt. Die ÖVP sagt und vertritt dasselbe wie vorher. Der einzige Unterschied ist, dass wir uns jetzt alle einig sind, dass die Steuerreform im März fertig sein muss. Das ist immerhin eine Weiterentwicklung. Sonst kann ich bei der ÖVP keine Änderung erkennen. Wo gibt es denn eine Änderung bei den Positionen zu den Arbeitnehmerrechten oder zu den Pensionen? Wir sind weiterhin gegen eine Pensionsautomatik, wir finden, das muss die Politik entscheiden. Oder in Fragen der Konzernrechte: Es ist dieselbe ÖVP, es ist dieselbe SPÖ. Wir haben hier unterschiedliche Meinungen. Die Suche nach Gemeinsamen ist schwierig. Ich bin auch nicht freiwillig für Kompromisse, wo ich gerne viel mehr durchgesetzt hätte. Gerade die Schule ist dafür ein gutes Beispiel. Ich will eine gemeinsame ganztägige Schule in ganz Österreich ohne weiße Flecken. Das ist schnell formuliert und leicht gesagt. Das ist mein Herzenswunsch, dafür kämpfe ich. Aber mit der ÖVP ist es schwer durchsetzbar. Ich habe da viel weitergebracht, und dennoch fehlt noch so viel. Das ist eine ernsthafte Diskussion, die man allerdings mit der Frage nach Alternativen verknüpfen muss. Dass sich ein SJler weniger um die Frage der Alternativen kümmern muss als der Bundeskanzler, liegt in der Natur der Sache. Wenn ich nicht vor die Österreicher hintreten und eine andere Koalitionsform vorschlagen kann, die viel stärker und besser wäre, dann muss ich mich eben dazu bekennen, dass man bei einer Wahl 50 Prozent braucht, wenn man alles durchsetzen will. Sie müssen doch auch anerkennen, dass ich mich im Wahlkampf redlich darum bemüht habe, immer dazuzusagen, dass das ein Wunsch ist und kein Versprechen. Ich habe immer gesagt: Das möchte ich, aber ich kann es nicht versprechen. Hundertmal bin ich gefragt worden, ob das eine Koalitionsbedingung ist, und genau diese Frage wird mir auch bei der Steuerreform gestellt. Mit einer absoluten Mehrheit setze ich alles um, was ich will, ohne absolute Mehrheit muss ich Sie enttäuschen, das wird ein Kompromiss werden. Das will ich nicht unter den Teppich kehren. Die SPÖ ist von diesen Kompromissen nicht begeistert, das ist schon so.

STANDARD: Ein Thema, auf das Sie sehr stark setzen, ist das Freihandelsabkommen TTIP, das zwischen der EU-Kommission und den USA verhandelt wird. Fühlen Sie sich vom Koalitionspartner im Stich gelassen? Sie wollten eine gemeinsame Regierungserklärung, in der die Position Österreichs klargestellt wird, die hat Mitterlehner verweigert.

Faymann: Das ist tatsächlich eine sehr ernste Frage. Die Konzerne haben in der Welt und in Europa in vielen Bereichen mehr zu reden als die Politik, als die gewählte, demokratische Politik. Jemand, der einen Kleinbetrieb in Österreich hat, der zahlt hier brav seine Steuern, internationale Konzerne suchen sich hingegen die Steuerlücken und zahlen fast keine Steuern. Es gibt den Fall Vattenfall, wo ein europäischer Konzern Deutschland geklagt hat, weil es ihm nicht passt, dass die Deutschen aus der Atomenergie aussteigen wollen. Es gibt genug Beispiele dafür, dass die Macht dieser Konzerne zu groß ist. Ich weiß, dass mir manche vorwerfen, ich klinge wie ein Sprecher von Attac. Aber als Bundeskanzler habe ich doch die Verantwortung, darauf aufmerksam zu machen, wenn ein Konzern stärker ist als die Demokratie und die gewählten Politiker, die sich einer Wertehaltung verpflichtet fühlen. Diese Konzerninteressen werden immer stärker und mächtiger. Wir Regierungschef laufen da hinterher.

STANDARD: Sie wollen zusätzliche Konzernrechte über das Freihandelsabkommen bekämpfen?

Faymann: Genau, das ist mein Ziel. Es geht um die Lebensmittelvorschriften, um die Arbeitsrecht- und Umweltvorschriften, die dürfen nicht ausgehöhlt werden. Wir dürfen den großen Konzernen nicht zusätzliche Klagsmöglichkeiten über den Schadensersatzweg zugestehen.

STANDARD: Es gibt ein Mandat der österreichischen Regierung an die EU-Kommission, genau diese Fragen zu verhandeln. Trauen Sie der EU-Kommission nicht zu, das ausreichend zu vertreten?

Faymann: Meine politischen Gegner versuchen, genau das zu argumentieren: Weil wir einen Auftrag erteilt haben, dürfen wir nicht mehr mitreden. Das ist ganz verkehrt. Wenn man einen Auftrag zu Verhandlungen erteilt, dann wäre es doch grundfalsch, nichts mehr zu sagen und nur noch auf das Ergebnis zu warten. Ich muss im Verhandlungsprozess meine Meinung sagen und vertreten. Wir müssen klipp und klar aussprechen, was Sache ist: Wir wollen Investoren schützen, aber das geht mit ordentlichen Gerichten, da brauchen wir keine Sonderklagsrechte. Wir können uns nicht zurücklehnen, wir müssen für unsere Anliegen kämpfen. Erstens: Die Beschlussfassung muss letztlich in den nationalen Parlamenten fallen, das ist ganz wichtig. Zweitens: Die ordentlichen Gerichte reichen aus, es braucht keine Sonderklagsrechte für Konzerne.

STANDARD: Das Vertrauen, das Mitterlehner in die EU-Kommission hat, haben Sie offenbar nicht?

Faymann: Im Gegenteil. Alles, was ich bisher gesehen und gehört habe, läuft unseren Interessen zuwider. Es gibt ganz massive Bemühungen in Brüssel, einen Weg zu finden, wie man den Weg über die Beschlussfassung in den nationalen Parlamenten verhindert. Wir müssen die nächsten Wochen und Monate nutzen, um hier unsere Interessen zu vertreten.

STANDARD: Das klingt nach einem Ablenkungsmanöver von der Innenpolitik.

Faymann: Wovon soll ich ablenken? Das zentrale Thema in der Innenpolitik ist die Steuerreform. Wenn wir die bis März nicht zustande bringen, dann ist die Funktion dieser Koalition infrage gestellt. Das kann ich nur unterstreichen. Von dem will ich nicht ablenken.

STANDARD: Wird es die Steuerreform bis März geben?

Faymann: Es muss sie geben. Da steht die Glaubwürdigkeit unserer Politik am Spiel.

STANDARD: Wird das öffentlich verhandelt werden, oder wird es ein Schweigeabkommen wie bei den Regierungsverhandlungen geben?

Faymann: Das hat damals schon nicht funktioniert. Bevor etwas Falsches verbreitet wird, werde ich das aufklären. Vertrauliche Gespräche ja, aber einen falschen öffentlichen Eindruck werde ich nicht Raum stehen lassen. (Michael Völker, DER STANDARD, 23.12.2014)