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Béji Caïd Essebsi nach der ersten Runde der Wahl Ende November. Der heute 88-Jährige war auch Mitglied in Regierungen von Habib Bourguiba und Zine el-Abidine Ben Ali.

Foto: AP / Mohamed Werteni

Der Lebenslauf des ersten frei gewählten Präsidenten Tunesiens, Béji Caïd Essebsis, liest sich wie ein Geschichtsbuch des nordafrikanischen Landes: Vor 88 Jahren als Sohn eines Bauern und als Enkel eines hohen Beamten des Osmanischen Reiches geboren, schloss er sich Ende der 1930er-Jahre der Jugendbewegung für die Unabhängigkeit von Frankreich an. Er studierte in Paris Jus, wurde Vorsitzender der "Muslimischen Studenten aus Nordafrika". Mit Anwaltstitel kehrte er zurück und verteidigte Mitstreiter vor Frankreichs Kolonialjustiz.

Nach der Unabhängigkeit wurde er Berater des ersten Präsidenten des freien Landes, Habib Bourguiba. Schnell stieg er zum Staatssekretär im Innenministerium, später zum Innenminister auf. Als Essebsi Anfang der 1970er auf Distanz zu Bourguiba ging, wurde er Botschafter in Paris. Schließlich wurde er aus der Partei Bourguibas ausgeschlossen.

Anfang der 1980er dann das erste Comeback: Neue Gesichter bestimmten die Regierung unter Bourguiba, Essebsi wurde Außenminister. Wenig später fiel er wieder in Ungnade; diesmal wurde er Botschafter in Bonn.

Der alte Mann kehrt zurück

1987 übernahm der zweite Präsident Tunesiens, der 2011 gestürzte Zine el-Abidine Ben Ali, die Macht. Und da war auch Essebsi wieder da. Bald wurde er Präsident des machtlosen Parlaments. Auch die Romanze mit Ben Ali dauerte nur wenige Jahre. Essebsi verabschiedete sich 1991 erneut aus der Politik und ging zurück in seine Anwaltskanzlei.

20 Jahre später erinnerte man sich des alten Mannes: Der Vater von vier Kindern wurde Premier einer Übergangsregierung. Es gelang ihm, die nachrevolutionäre Lage zu beruhigen. Unter seiner Regie gab es erste freie Wahlen. Die islamistische Ennahda holte die Mehrheit in der Verfassungsgebenden Versammlung. Der Erfolg der Islamisten war nicht zuletzt der Zersplitterung des säkularen Lagers zu verdanken. Essebsi wandte sich mit seiner Partei Nidaa Tounes ("Ruf Tunesiens") an Unabhängige, Liberale, Gewerkschafter, aber auch an Mitglieder der früheren Ben-Ali-Partei RCD. Erklärtes Ziel: den Islamisten einen starken weltlichen Block gegenüberzustellen.

Dies gelang. Vergangenen Oktober gewann Nidaa Tounes die Parlamentswahlen, und jetzt zieht Essebsi in den Präsidentenpalast in Karthago ein. Der Alte hat sich geschickt als historische Vaterfigur inszeniert und damit die Tunesier, die Ruhe, Stabilität und Aufschwung wünschen, hinter sich geschart. (Reiner Wandler, DER STANDARD, 23.12.2014)