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Bernard Bot (links) und Jan Peter Balkenende (rechts) begrüßen den deutschen Kanzler Gerhard Schröder beim EU-Gipfel am 16. Dezember 2004. Schröder muss später in jener Nacht Bot zu Hilfe kommen, um zu verhindern, dass der türkische Regierungschef Erdogan den Gipfel verlässt, bei dem über die Beitrittsgespräche entschieden wurde.

Foto: REUTERS/Thierry Roge

Der EU-Gipfel vom Dezember 2004 ist Bernard Bot in frischer Erinnerung geblieben. Es war der Abend des 16. Dezembers in Brüssel, ein Donnerstag, und Bot, damals niederländischer Außenminister und zugleich Vertreter der Ratspräsidentschaft, schickte sich an, dem türkischen Regierungschef das Programm der nächsten Stunden zu erklären. Aber dann ging plötzlich alles daneben.

"Ich dachte, ich hätte einen Kompromiss mit Gül (Abdullah Gül, damals türkischer Außenminister, Anm.) und der Regierung in Ankara, der einfach war", erzählt Bot bei einem Treffen in Den Haag, früher in diesem Jahr: Die Türken würden ein Schreiben aufsetzen, in dem sie die Erweiterung des Vertrags über die Zollunion von 1963 auf alle zehn neuen EU-Mitglieder anerkennen – ohne Nennung und explizite Anerkennung von Zypern. "Ich hatte das Gefühl, die Türken würden sich an diese Formel halten, als wir den EU-Gipfel am 16. Dezember begannen. Zu meiner großen Überraschung entwickelten sich die Dinge anders", erinnert sich Bot, mittlerweile 77 Jahre alt und mit einem noch markanter geschnittenen Gesicht. "Ich war dabei, Regierungschef Erdogan zu erklären, wie wir den Abend strukturieren und die Zypernfrage behandeln würden, und dass ich sehr erfreut darüber sei, dass die Türkei diese Formel akzeptiert. Dann aber sagte Erdogan, der von vielleicht 40 oder 50 Offiziellen umgeben war – wir waren weniger, höchstens zehn, und Regierungschef Balkenende (Jan Peter Balkenende, der damalige niederländische Premier, Anm.) steckte anderswo beim Treffen des Rats –, ganz unvermittelt: Wenn Sie glauben, Sie können die Türkei auf diese Weise erniedrigen, dann liegen Sie falsch. Ich werde dieses Gebäude verlassen, und die Verhandlungen sind vorbei."

Unmögliche Mission

Zehn Jahre liegt dieser EU-Gipfel nun zurück, bei dem am Ende doch der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefasst wurde. Bot hatte mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte von 2004 ein schwieriges Erbe erhalten: Zypern war gerade EU-Mitglied geworden, immer noch geteilt und hatte sich vorbeigeschwindelt an der Brüsseler Kommission und den anderen EU-Regierungen, die sich der Illusion hingegeben hatten, die Zyprioten würden unmittelbar vor dem Beitritt in einem Referendum dem Friedensplan des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan zustimmen. Die Türkei aber wartete im Dezember auf ihre Einladung zu Beitrittsgesprächen, enttäuscht und wütend über die Absage der griechischen Zyprioten. Das EU-Mitglied Zypern erkennt sie bis heute nicht an. Der Keim für die vermurksten Beitrittsverhandlungen, die bald in ihr elftes Jahr gehen, wurde damals beim EU-Gipfel in Brüssel gelegt.

Erdogan was sehr entschieden, erzählt Bot. "Er sagte, er könne nicht mit einem solchen Kompromiss nach Hause fahren, und das nach der Beleidigung mit den griechischen Zyprioten, die den Friedensplan niedergestimmt hatten." Der niederländische Außenminister, ein Pro-Türkei-Politiker bis heute, sah, dass es Tayyip Erdogan ernst war. "Ich rief Balkenende an und sagte ihm, dass wir die Schwergewichte herholen müssen – Schröder, Chirac, Tony Blair –, bevor Erdogan sein Auto erreicht. Alle hatten lange Unterredungen mit Erdogan, erklärten ihm, dass sie die türkische Position verstünden, aber dass er auch einsehen müsse, was auf dem Spiel stünde: Wenn wir jetzt die Verhandlungen abbrechen, wird es sehr lange dauern, bis wir sie wieder aufnehmen können. Griechenland und Zypern würden eine gute Ausrede haben, um zu sagen: Nie wieder mit den Türken, ihr seht ja, was für Leute das sind."

Die ganze Nacht gingen die türkischen und die EU-Politiker verschiedene Formeln durch, wie Ankara die Tatsache akzeptieren könnte, dass Zypern nun ein EU-Mitglied ist, und die EU wiederum die türkische Position zur geteilten Insel anerkennt. Am frühen Morgen stand ein Wording fest, das nicht wirklich so verschieden von der ersten Kompromissformel war, aber bis Oktober 2005 aufgeschoben wurde, wenn der formelle Beschluss über den Beginn der Türkei-Beitrittsverhandlungen bei einem EU-Gipfel gefasst würde. (Die damalige Außenministerin Ursula Plassnik wehrte sich dann noch mehrere Stunden und erzwang eine neue Bedingung für einen späteren EU-Beitritt der Türkei: Aufnahmefähigkeit der EU).

Ein kapitaler Fehler

Zyperns Beitritt im April 2004 ohne vorherige Regelung der Teilungsfrage hielt Bot damals schon für einen kapitalen Fehler. Einen wirklichen Plan B für den Fall, dass die Abstimmung über den Annan-Plan danebenginge, gab es schlicht nicht. "Die offizielle Linie lautete: Zypern soll EU-Mitglied werden, aber es sollte in keiner Weise mögliche Mitgliedsgespräche mit der Türkei verhindern", erinnert sich Bot. "Die Zyprioten sollten den Prozess nicht behindern, erschweren oder mit einem Veto belegen. Das war dumm. Versprechen für die Zukunft werden nie eingehalten. In Europa gilt immer "do ut des". Du gibst mir etwas, wenn ich dir etwas zur selben Zeit gebe, und wir überprüfen besser mittendrin, ob unser Handel auch wirklich so abläuft, wie wir vorher vereinbart hatten."

Der Salat war bald angerichtet: Die EU-Staaten suspendierten im Dezember 2006 acht Verhandlungskapitel mit der Türkei, weil das türkische Parlament nicht wie vereinbart bis dato das Protokoll zur Erweiterung der Zollunion ratifizierte. Die Republik Zypern blockiert sechs weitere Kapitel und hat im Oktober dieses Jahres ein Veto gegen die Öffnung jeglicher neuer Kapitel wegen der Sondierungen eines türkischen Forschungsschiffs in der zypriotischen Wirtschaftszone angekündigt. (Markus Bernath, derStandard.at, 20.12.2014)