Ende August waren sie am Cover des Reiseteils der "New York Times". Die Rede ist von den weltweit einzigartigen anatomischen Wachspräparaten, die im Josephinum in Wien zu bestaunen sind. Kaiser Joseph II. hatte 1781 die über 1000 Exponate in Florenz für die damals neue medizinisch-chirurgische Militärakademie bestellt. Heute befindet sich im Palais an der Währingerstraße das Institut für die Geschichte der Medizin mit einer der international bedeutendsten medizinhistorischen Sammlungen – und eben auch: den weltberühmten Wachspräparaten. Dank der Bemühungen von Christiane Druml, Vizerektorin der MedUni Wien, hat sich in den letzten Jahren im lange verstaubten Josephinum einiges getan. Und auch die legendären Wachsmodelle wurden mit Sonderausstellungen wieder zurück in die Öffentlichkeit geholt.

Im Bild: Eine der Höhepunkte der Wachspräparatesammlung: die "Mediceische Venus" mit geöffnetem Körper.

Foto: MedUni Wien/Josephinum

Die neueste Ausstellung im Josephinum, die am Dienstag mit einem Vortrag von Medizinnobelpreisträger Eric Kandel eröffnet wurde und ab Freitag besucht werden kann ist, nennt sich "Unter die Haut" und ist zum Teil dem ersten Abschnitt von Kandels Bestseller "Das Zeitalter der Erkenntnis" von 2012 nachempfunden. Der englische Titel – "The Age of Insight" – passt in dem Fall allerdings besser. Denn zum einen geht es in der neuen Schau darum, die Leistungen der zweiten medizinischen Schule zu würdigen, die rund um 1850 auf der Suche nach den wahren Krankheitsursachen buchstäblich in den Körper Einsicht nahm und "unter die Haut" ging. Zum anderen werden in der neuen Ausstellung, die ab Freitag offiziell läuft, die damaligen Durchbrüche mit den revolutionierenden Möglichkeiten heutiger Bildgebungsverfahren konfrontiert.

Im Bild: Plakatives Sujet: Darstellung eines Herzens im "Atlas der topographischen Anatomie des Menschen" (1890–1904) von Emil Zuckerkandl.

Foto: MedUni Wien/Josephinum

Was waren die großen Leistungen von Carl von Rokitansky, Josef Skoda und Emil Zuckerkandl, die im Mittelpunkt des historischen Teils der Schau stehen? Die drei medizinischen Heroen ais Wien waren maßgeblich an der Geburt der modernen Medizin um 1850 beteiligt: Neben vielen neuen Erkenntnissen über den menschlichen Körper liegt ihre wahrscheinlich wichtigste Errungenschaft in ihrem von der Naturwissenschaft geprägten Zugang zur Medizin. "Unter die Haut" bezieht sich dabei sowohl auf ihre jeweiligen Fachgebiete – Pathologie, Innere Medizin, Anatomie – als auch auf ihre Methoden, durch genaues Schauen und Abhören den Krankheiten auf den Grund zu gehen, um so zu einem kausalen Verständnis der Funktion des menschlichen Körpers zu gelangen.

Im Bild: Kontrastierender Blick in die Ausstellung: Heutige Operationsgerätschaft neben einem Rückblick auf Josef Skoda.

Foto: MedUni Wien/Daniel Hinterramskogler

Leider nicht wirklich eingelöst wird in der Schau ein wichtiges Argument Erics Kandels: dass es im Wien um 1900 (etwa durch den Salon von Emil Zuckerkandls Frau Bertha) zu engen Kooperationen zwischen Künstlern, Medizinern und Wissenschaftern kam, wovon beide Seiten profitierten. Stattdessen gibt es einige Filme zu sehen, die Medizin heute wissenschaftlich und künstlerisch in den Blick rücken: ein Video einer Hirntumoroperation bei vollem Bewusstsein, die im AKH durchgeführt wurde oder den Kurzfilm einer "klassischen" Anatomiestunde an einer medizinischen Fakultät in Istanbul, aufgenommen vom türkischen Videokünstler Ali Kazma.

Im Bild: Die beiden filmischen Interventionen Ali Kazmas zeigen eine Anatomiestunde (links) und ein Video über das Einfrieren von Leichen für eine mögliche "Wiederbelebung" irgendwann ("Cryonics").

Foto: MedUni Wien/Daniel Hinterramskogler

Besonders beeindruckend ist das 2012 gedrehte Video "Da Vinci" von Yuri Ancarani, das im Erdgeschoss des Josephinums zu sehen ist. Der italienische Künstler und Filmemacher zeigt in seinem 25-minütigen Streifen Ausschnitte einer Operation, die mit dem OP-Computer Da Vinci durchgeführt werden. Der Chirurg hat bei Eingriffen, die damit durchgeführt werden, keinen direkten Zugriff mehr auf den Patienten, sondern bedient mittels komplizierter Steuerungsapparaturen das OP-Besteck von Da Vinci. Das Video, das neue "Kooperationen" von Mensch und Maschine eindrucksvoll in den Blick rückt, war auch schon auf der Biennale in Venedig zu sehen.

Im Bild: Der Operateur blickt durch Da Vinci auf den chirurgischen Eingriff, den er mit den Händen fernsteuert.

Foto: Yuri Ancarani

Schließlich gibt es aber auch noch eine Intervention, die zur anatomischen und medizingeschichtlichen Selbstreflexion anregt: Der finnische Fotokünstler Ville Lenkkeri besucht seit 2008 medizinhistorische Museen auf der ganzen Welt und gewährt mit seinen Fotografien Einblicke auch hinter die Kulissen. (Im Narrenturm gleich neben dem Josephinum war er übrigens auch.) Seine Installation stellt nicht nur die Frage, wie man mit historischen menschlichen Überresten heute umgehen soll, sondern führt indirekt auch die eigene Schaulust vor Augen.

Für vier Euro Eintritt gibt es im Josephinum ab sofort jedenfalls eine ganze Menge zum Sehen. Und zum Nachdenken. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 19.12.2014)

Im Bild: Anatomischer Voyeurismus? Ville Lenkkeri thematisiert mit seinen 60 Fotografien einige Problematiken ausgestellter menschlicher Überreste.

Info

Öffnungszeiten der Ausstellung "Unter die Haut" mit den Wachsmodellen: freitags und samstags 10 bis 18 Uhr

Am 26. und 27. Dezember sowie am 3. und 4. Jänner hat das Josephinum (Währinger Straße 25, 1090 Wien) geöffnet.

Foto: Ville Lenkkeri