Bild nicht mehr verfügbar.

Am Montagabend demonstrierten in Dresden 15.000 Anhänger des Antiislambündnisses Pegida, ...

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

Bild nicht mehr verfügbar.

... so viele wie noch nie zuvor. Zur Gegendemo kamen 5.600 Teilnehmer.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

STANDARD: Seit Wochen gehen "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Pegida, auf die Straße. Warum wächst diese Bewegung so rasant?

Werner Patzelt: Pegida hat einen Nerv getroffen. In Deutschland - wie in anderen Ländern auch - ist der öffentliche Diskurs, der in politischen Parteien und Medien gepflogen wird, von dem deutlich abgewichen, was an den Stamm- und Abendbrottischen der Nation gesprochen wird. Es trat eine gewisse Linksverschiebung im Parteienspektrum ein. Zuwanderung und Integration gelten als rechte Themen. Die CDU versuchte daher lange, das Thema gar nicht anzusprechen.

STANDARD: Mittlerweile erklärt aber auch sie, Deutschland sei ein Einwanderungsland.

Patzelt: Ja. Aber zuerst sagte sie jahrelang: Wir sind kein Einwanderungsland, also brauchen wir darüber auch nicht zu diskutieren. Danach hieß es: Wir sind jetzt doch ein Einwanderungsland, und das ist alternativlos. Aber es gibt keine Einwanderungs- und Integrationspolitik. Die Bevölkerung hat das Gefühl, die Politik spricht gar nicht mit ihr über dieses wichtige Thema. Daraus erklärt sich der Zulauf zu Pegida.

STANDARD: Die Parteien haben aber doch ihre Positionen in der Asylpolitik. Und Deutschland hat internationale Konventionen unterzeichnet.

Patzelt: Das ist ein Sammelsurium von Einzelbestimmungen. Aber es gibt kein Einwanderungs- und Integrationsgesetz aus einem Guss, sondern nur sehr viel Passivität. Mich wundert nicht, dass Pegida so viele Menschen anspricht. Es ist sträflich, dass die CDU ihre Aufgabe vernachlässigt, Menschen am rechten Rand zu integrieren und dass die anderen Parteien - also SPD, Grüne und Linke - jeden kleinen Versuch, wenn es ihn doch mal gibt, gleich heftig verunglimpfen.

STANDARD: Wer geht bei diesen Pegida-Märschen auf die Straße?

Patzelt: Die Teilnehmerschaft von Pegida lässt sich durch Beobachtungen und Befragungen so beschreiben: vom Alter her zwischen jungen Erwachsenen und Rentnern. Die Erwerbstätigen üben einfachere bis mittlere Berufe aus, die Bildung ist bodenständig bis mittel, die politische Ausrichtung reicht von der Mitte bis zum rechten Rand. Es gibt CDU und AfD-Wähler, aber vor allem sehr viele Nichtwähler. Kurzum: Pegida ist das normale Volk, keine Horde von Neonazis.

STANDARD: Die im Bundestag vertretenen Parteien haben Pegida aber gleich ins rechte Eck geschoben.

Patzelt: Eine typisch deutsche Reaktion. Wenn etwas von einer Position der Mitte nicht nach links abweicht, dann ist es rechts. Und rechts ist in Deutschland gleichgesetzt mit rechtsradikal und rassistisch. Es waren übrigens auch die Medien, die das so dargestellt haben. Aber natürlich gibt es im Internet Bekundungen zu Pegida, bei denen die xenophoben Töne nicht zu überhören sind. In der Zwickmühle ist vor allem die CDU, die scharf auf Pegida reagierte: Sie will sich rechts nicht überholen lassen, aber es sich links nicht verderben.

STANDARD: In Dresden, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, demonstrierten auch Neonazis mit.

Patzelt: Es ist unmöglich, ihnen zu verbieten, an einer Demonstration teilzunehmen. Die Organisatoren distanzieren sich heftig von allen Rechtsradikalen. Was sie sagen und in ihren 19 Thesen vertreten, ist alles andere als rechtsradikal. Am Anfang haben Ordner noch darauf geachtet, dass keine rechtsradikalen Transparente, Zeichen und Parolen zu sehen sind. Aber mit dem Anwachsen der Bewegung wird das immer schwieriger.

STANDARD: Sind die Botschaften und Forderungen rechtspopulistisch?

Patzelt: Die Frage ist zunächst, was man als rechtspopulistisch bezeichnet. In Deutschland hört man jetzt, dass die Forderung, europäische Kultur zu erhalten, eine rechte oder rechtsradikale Forderung sei. Wenn man es so sieht, ist Pegida natürlich rechtspopulistisch.

STANDARD: Wie soll die deutsche Politik auf Pegida reagieren?

Patzelt: Sie muss die Sorgen der Menschen aufgreifen. Es wäre wichtig, für längeren Planungsvorlauf zu sorgen, damit Bürgermeister und Landräte die Bevölkerung informieren können, was auf sie zukommt. Auf der großen Ebene muss die Bundesregierung die Debatte über ein Bundeseinwanderungs- und Integrationsgesetz führen. Und sie muss über die Sache reden, nicht über ideologische Voreingenommenheit. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 17.12.2014)