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Mladen Ivanić, der neue Vorsitzende des dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidiums, Anfang Oktober in Bijeljina.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

STANDARD: Sie sind nach Mostar zum Begräbnis des Vaters von Dragan Čović, Ihrem Kollegen im Staatspräsidium, gefahren. Ebenso Ihr dritter Kollege im Staatspräsidium, Bakir Izetbegović. Wird das jetzt neuerdings öfter so sein, dass die Vertreter der drei größten Volksgruppen gemeinsam auftreten?

Ivanić: Es ist ein Zeichen. Wir werden das langsam ändern. Es ist nicht realistisch, nach all dem, was passiert ist, dass es ein Paradies geben wird. Aber ein paar positive Elemente, dass wir von Zeit zu Zeit gemeinsam auftauchen, besonders wenn wir uns über etwas Essenzielles einig sind: Ja!

STANDARD: Sie haben von einer neuen Kooperation gesprochen. Wie können Sie von der Präsidentschaft aus eine weitere Blockade der Regierung in Bosnien-Herzegowina verhindern?

Ivanić: Zuerst einmal müssen wir wissen, wo wir uns nicht einig sind. Und wenn wir wissen, wo wir uns nicht einig sind, wieso sollten wir dann diese Themen öffnen? Wir haben darüber gesprochen, unsere Haltung zu ändern. Und dann zu schauen, wo es Themen gibt, bei denen wir uns einig sind. Wenn es etwa um landwirtschaftliche Produkte geht, die wir von Banja Luka in die EU exportieren wollen, so gibt es dasselbe Interesse bei den Bosniaken und bei den Kroaten. Um also nicht über jene Themen zu sprechen, bei denen wir uns nicht einig sind, lasst uns jene Institutionen, die dafür verantwortlich sind, effizienter machen! Das ist die Logik meines Vorgehens und das ist auch die Logik meiner beiden Kollegen.

Wenn wir große Themen angehen, haben wir drei verschiedene Sichtweisen von Bosnien: Herr Izetbegović will ein vereinigtes Bosnien, am besten ohne Entitäten, aber er weiß, dass dies nicht möglich ist. Ich selbst will am liebsten eine unabhängige Republika Srpska (RS), aber ich weiß, dass das nicht möglich ist. Herr Čović hat die Idee von einer dritten Entität, aber wir wissen, dass wir uns da nicht einig sind. Also lass uns das beiseite lassen. Unsere Generation von Politikern ist nicht in der Lage, dies zu lösen.

STANDARD: Auch die internationale Gemeinschaft, insbesondere Deutschland, hat einen Richtungswechsel vollzogen. Man will nun keine Verfassungsfragen mehr behandeln, weil man gesehen hat, dass das erfolglos ist.

Ivanić: Ich glaube, wir sind alle reifer geworden, auch die internationale Gemeinschaft. Vor zehn Jahren gab es diese idealistische Idee: Je mehr staatliche Institutionen es gibt, desto mehr Bosnien gibt es. Aber das ist einfach nicht der Fall. Denn es gibt jetzt Institutionen, die fast nichts machen. Die sind jetzt eher das Problem. Es gibt etwa diese staatliche Kommission für Konzessionen, seit zehn Jahren und die haben keine einzige Konzession erlassen. Also könnte das doch auch ein Gremium im Ministerium für Außenhandel und ökonomische Beziehungen machen, wenn es Interesse dafür gibt.

Jetzt haben wir in der Präsidentschaft drei seriöse Politiker. Ich sehe keine andere Institution, inklusive des Ministerrats, wo es derart seriöse Politiker gibt wie in der Präsidentschaft. Das heißt, dass die Präsidentschaft im Fokus stehen wird. Und weil dieselben Parteien im Ministerrat sein werden, wird es einen ernsthaften Einfluss des Ministerrats geben. Und so gibt es einen engen Kreis, mit dem man manche der Reformen machen kann, etwa ökonomische Reformen, die eine Priorität der EU sind.

Wir werden am 15. Dezember beim Treffen der EU-Außenminister erfahren, ob die EU diese neue Strategie übernimmt. Und dann werden wir mit jenen Themen arbeiten, bei denen wir alle die gleichen Interessen haben. Das ist die Hauptidee für die nächsten vier Jahre.

STANDARD: Welche Reformen meinen Sie?

Ivanić: Wir müssen die Botschaft verschicken, dass Bosnien ein Ort ist, wo man Entscheidungen treffen kann. Es ist nicht das Ende der Welt, es ist vielleicht kompliziert, aber nicht so ineffizient. Das ist eher eine politische Botschaft. Ich bin schon lange in der Politik, und ich weiß, dass ein Teil der internationalen Politik eine Frage der Mode ist. Wenn jemand beginnt zu sagen, dass Bosnien nicht so schlecht sei, dann werden die anderen auch sofort beginnen zu sagen: Es ist nicht so schlecht in Bosnien. Es geht also ums Image und darum, dass niemand Angst hat, nach Bosnien zu kommen. Zweitens müssen wir den öffentlichen Sektor auf allen Ebenen zurückschrauben.

STANDARD: Und Sie glauben, das ist machbar?

Ivanić: Es wird Druck geben, dass wir das tun werden. Weil wir ganz einfach nicht mit so einem großen öffentlichen Sektor und einer so großen Administration leben können. Der größte Druck wird auf der Föderation lasten. Ich will jetzt nicht den Druck von der Republika Srpska (RS) auf die Föderation lenken, aber realistischerweise sind zehn Kantone zu viel.

STANDARD: Ist das also auch eine Priorität, die Föderationsstruktur zu reformieren?

Ivanić: Ich will nicht zu sehr Druck machen. Aber ich sehe keinen Grund, weshalb nicht einige Kantone zusammengelegt werden könnten, etwa Sarajevo und Goražde, die sind nahe beieinander.

STANDARD: Aber dann sind Sie wieder bei der Verfassung, und dort beginnt wieder der Streit.

Ivanić: Okay, aber in Sarajevo und in Goražde leben vor allem Bosniaken. Ich sehe keinen Grund von uns aus, in der RS irgendein Problem damit zu haben, dass es nur mehr einen Kanton statt zwei gibt. Und auch die Kroaten haben damit kein Problem. Oder Tuzla und Zenica-Doboj, das ist mehr oder weniger dasselbe.

STANDARD: Sie haben über das Image von Bosnien gesprochen. Wenn es um potenzielle Investoren geht, dann haben diese aber noch andere Probleme: nämlich die Verwaltung. Es dauere alles zu lange und sei zu intransparent und zu unsicher. Es geht hier eigentlich um Klientelismus.

Ivanić: Das ist ein Problem des alten Systems, wo die Verwaltung auf alles ihren Stempel machen musste. Das sind keine aus ethnischen Gründen entstandenen Probleme, das sind Mentalitätsprobleme aus der früheren Zeit. Die Logik war folgende: Du hast nur dann eine Rolle im System, wenn du einen Stempel auf etwas drückst. Und so wird dann die Gesetzgebung geschaffen. Wir haben ein paar Politiker und Ökonomen, die in der Lage sind, das zu verstehen und zu verändern. Aber noch immer nicht ganz. Für die gesamte Amtszeit brauchen wir einfach eine andere Logik. Wir haben ein paar Schritte gemacht in diese Richtung, in der RS ein wenig mehr als in der Föderation ...

STANDARD: Es ist ja auch einfacher in der RS, weil sie zentralisierter ist ...

Ivanić: Es gibt ja auch immer ein Problem der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Ebenen des Staates. Aber das ist eher eine ideologische Reform. Und das könnte die Essenz dieser neuen deutsch-britischen Initiative sein, die langsam eine neue europäische Initiative wird. Diese Reformen können in der ersten Phase auf der Agenda stehen.

STANDARD: Aber es hängt doch davon ab, welche Regierung auf der gesamtstaatlichen Ebene gebildet wird.

Ivanić: Wir wissen ja, wer die Mehrheit hat. Die HDZ, die SDA, die Izetbegović unterstützt, die DF und die Allianz für den Wandel, die mich unterstützt. In der RS wird es eine andere Regierung geben.

STANDARD: Aber es gibt ja auch noch die Möglichkeit, dass die SNSD an der gesamtstaatlichen Ebene beteiligt wird.

Ivanić: Das denke ich nicht – wenn die SNSD dabei ist, dann ohne die Allianz für den Wandel.

STANDARD: Čović (Vertreter der Kroaten im Staatspräsidium und Chef der HDZ, Anm. der Red.) hat sich erst kürzlich mit Dodik (Präsident der Republika Srpska und Chef der stärksten serbischen Partei, der SNSD, Anm. der Red.) getroffen.

Ivanić: Ich bin ziemlich sicher, dass die Allianz für den Wandel in der neuen Regierung sein wird. Und ziemlich bald wird das ziemlich sichtbar sein. Čović hat für den SDS-Kandidaten gestimmt, der der Vorsitzende des Repräsentantenhauses wird. Er wird weiter nett über Dodik sprechen, aber wie ein pragmatischer Politiker wird er der Mehrheit folgen. Er kann diese nicht ändern. Wir haben 21 Sitze ohne ihn. Er kann das nicht ändern, also wird er mit uns zusammengehen.

STANDARD: Er könnte auch draußen bleiben, das wäre die andere Option.

Ivanić: Die einzige andere Option, die er hat, ist, mit Dodik zusammenzubleiben und nicht in die Regierung zu gehen, sondern in der Opposition zu sein.

STANDARD: Was denken Sie über die dritte Entität für die Kroaten, die Čović will?

Ivanić: Wir in der Republika Srpska haben keinen Grund, den Vertrag von Dayton herauszufordern. Das ist eine Geschichte der Föderation, die Kroaten und Bosniaken müssen eine Lösung finden. Ich werde jede Einigung von denen akzeptieren, unter der Bedingung, dass es nicht gegen die RS ist.

STANDARD: Aber was sollte gegen die RS sein?

Ivanić: Wenn die etwa sagen: Lasst uns eine dritte Entität haben unter der Bedingung, dass ein Fünftel des Territoriums der RS nicht mehr zur RS gehört.

STANDARD: Das habe ich noch nicht gehört.

Ivanić: Oder etwa, wenn die sagen: Okay, es gibt eine dritte Entität, aber ohne Entitäts-Abstimmung im Parlament. Wenn die Kroaten und Bosniaken mich fragen würden, würde ich ihnen raten, zuerst einmal die Anzahl der Kantone zu verkleinern und dann nicht über die dritte Entität zu sprechen, aber so etwas wie eine Einheit zu schaffen ...

STANDARD: ... eine Wahleinheit für die Kroaten?

Ivanić: ... eine Einheit in der Föderation, die – auch wenn sie kein Veto hat – dennoch ernsthaft die Budgetzuteilung beeinflussen kann, wenn es um Bildung und die Identität der Leute geht. Verschiedene Phasen also. Aber das Ganze ist so heikel.

STANDARD: Einer der Gründe, weshalb es hier so viele Blockaden gab, war gerade das Veto der Entitäten. Denken Sie, dass die Veto-Politik weitergeht?

Ivanić: Als ich in der Regierung in der RS war, haben wir das Veto nur ein- oder zweimal benutzt.

STANDARD: Aber danach unter der SNSD-Regierung wurde es öfter benutzt.

Ivanić: Ja, aber das war die politische Strategie der SNSD. Ich glaube aber nicht, dass das in Zukunft der Fall sein wird, denn wenn wir ein politisches Vertrauen aufbauen, dann gibt es keine Notwendigkeit dafür.

STANDARD: Aber dazu braucht es einen politischen Willen, und in den vergangenen Jahren gab es diesen nicht.

Ivanić: Aber acht Jahre zuvor gab es ihn.

STANDARD: Aber jetzt ist in der RS die SNSD an der Macht.

Ivanić: Okay, aber wenn es um die Schlüsselsachen geht, dann werden wir nicht so sehr über Sachen sprechen, bei denen es eine geteilte Verantwortung gibt. Es wird entweder die Verantwortung des Gesamtstaats sein oder der Entitätsebene. Aber ich denke, dass Dodik zu mehr Kompromissen bereit sein wird. Weil er Geld und finanzielle Unterstützung braucht. Ohne den IWF wird er nicht genügend Einkünfte haben. Es wird Druck auf ihn geben.

STANDARD: Dann müsste der IWF Druck machen, und das hat er in der Vergangenheit nicht gemacht, sondern immer, wenn es notwendig war, Geld gegeben.

Ivanić: Ich stimme Ihnen zu.

STANDARD: Eine analytische Frage: Ich denke, wenn man will, kann man sogar etwas mit diesem komplizierten Dayton-System weiterbringen. Ist es Ihrer Meinung nach gar nicht so sehr die Struktur des Staates, sondern der fehlende politische Wille, der hier alles gelähmt hat?

Ivanić: Wir hatten hier Spieler, die ganz einfach Gewinner sein wollten und gesagt haben: Wir können uns nicht einigen wegen der komplizierten Strukturen von Dayton – was, wenn ich es so unverblümt sagen kann, eine Lüge ist. Dayton ist kein Problem, wenn man sich einigen will. Aber wenn man sich nicht einigen will, dann will jemand Gewinner sein und das komplizierte System benutzen. Der Satz von Izetbegović "Wir wissen, dass es nicht möglich ist, die RS zu zerstören" und der Satz der Serben "Wir wissen, dass es Bosnien für einige Jahre und Jahrzehnte geben wird" führen dazu, dass die keine Angst vor der Auflösung von Bosnien haben und wir keine Angst vor der Zerstörung der RS. Und dann können wir uns normal einigen, wenn das so ist.

STANDARD: Der Kampf um die Unabhängigkeit der Republika Srpska hatte in den vergangenen Jahren einen entscheidenden Einfluss auf die Dynamik der Politik in der RS.

Ivanić: Die Geschichte mit der Unabhängigkeit war eine Geschichte von Dodik, und er hat sie für seine Macht genutzt und nicht, um wirklich damit zu arbeiten. Das erste Land, das die Unabhängigkeit von der RS – zumindest in den kommenden Jahren – nicht unterstützen würde, ist Serbien. Denn dann müsste Serbien gleich sagen: Der unabhängige Kosovo ist eine Realität. Wer soll die Unabhängigkeit der RS unterstützen?

STANDARD: Russland vielleicht.

Ivanić: Ich glaube, nicht einmal Russland hat ein Interesse daran.

STANDARD: Serbien wird von vielen Serben hier in Bosnien-Herzegowina als Mutterland gesehen. Schwächt das die Beziehungen von den Serben hier zu ihrem Staat, Bosnien-Herzegowina?

Ivanić: Ich glaube nicht, dass emotionale Beziehungen zu Serbien irgendeinen negativen Einfluss auf Bosnien haben. Wir glauben, dass unsere ethnischen Wurzeln dort liegen. Was ist das Problem? Um ganz offen zu sein, die Position von Serbien, „Wir lieben die Republika Srpska, aber wir akzeptieren die Existenz und die Integrität des Dayton-Bosnien“, ist eine faire Aussage. Die lieben die RS, was normal ist, weil dort Serben sind. Es ist also ein dummes Dilemma. Es ist genauso, wie wenn mich jemand fragt: Welches Team werden Sie unterstützen, wenn Bosnien gegen Serbien Fußball spielt? Das ist eine dumme Frage und nur dazu da, um entweder mich oder die Öffentlichkeit zu provozieren. Ich denke, dass Serbien Interesse an Dayton-Bosnien hat. Die sind nicht in irgendeine politische Entscheidung involviert hier.

STANDARD: Ja, die halten sich völlig raus. Ist das gut?

Ivanić: Natürlich.

STANDARD: Sollte Kroatien dasselbe machen?

Ivanić: Die haben bereits mehr oder weniger dasselbe gemacht. Aber in einer versteckten oder in einer bestimmten Art versuchen sie Einfluss auszuüben. Das ist nicht so sichtbar. Ich denke, dass die EU hier die Rolle hat, zu Zagreb und Belgrad zu sagen: Arbeitet zusammen und seid positiv gegenüber Bosnien-Herzegowina. Aber geht nicht in einen tagespolitischen Kampf und unterstützt nicht irgendeine Seite dort.

STANDARD: In Serbien kam es in der Fortschrittspartei zu einer Abkehr vom Nationalismus. Gibt es eine ähnliche Entwicklung bei ihrem Koalitionspartner hier in Bosnien, der SDS?

Ivanić: Ich habe keinen Grund zu beweisen, dass ich ein Serbe bin. Die SDS hat auch keinen Grund, das öffentlich zu verkünden, weil alle wissen, dass das eine serbisch-basierte Partei ist. Das gibt ihnen mehr Raum, realistischer zu sein und sich in einer viel normaleren Art zu verhalten. Es geht nicht so sehr darum, an der Macht zu sein. Wenn du wirklich glaubst, dass du ein Serbe bist, hast du keinen Grund, das täglich zu behaupten. Ich habe dieses Gefühl: Ich war immer ein Serbe, aber ich war immer ein Serbe, der niemals im Konflikt mit den anderen Nationen sein wollte. Denn ich bin ein Serbe und ich werde meine Identität beschützen und alles dafür tun. Aber ich werde niemals die anderen attackieren und ich versuche immer, einen Kompromiss zu finden. Und ich glaube, das ist für beide möglich. Mein politischer Zugang ist nicht: entweder die RS oder Bosnien. Mein Zugang ist: beides – RS und Bosnien. Das steht nicht in Konflikt zueinander.

STANDARD: Also wollen Sie auch ein Präsident für die Kroaten und die Bosniaken, die in der RS leben, sein?

Ivanić: Das wäre eher die Aufgabe des Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, ein Präsident für sie zu sein. Ich repräsentiere Serben der Republika Srpska und Kroaten und Bosniaken, die mich in der RS gewählt haben. Ich bin hauptsächlich ein Serbe, aber ich werde versuchen, eine Balance zu finden, dass ich auch nicht gegen die Leute arbeite.

STANDARD: Noch mal zurück zu Russland. Bosnien-Herzegowina unterstützt die Sanktionen gegen Russland nicht. Was ist Ihre Position dazu?

Ivanić: Mehr oder weniger dieselbe. Wir sind kleine Spieler hier. Und es wäre nicht fair von einem der großen Player, uns unter Druck zu setzen, wen wir unterstützen. Wir müssen die Balance finden. Zweitens ist Bosnien noch immer kein EU-Kandidatenstaat, also müssen wir ihr nicht folgen.

STANDARD: Ist Russland für die RS auch ökonomisch wichtig?

Ivanić: Wirtschaftlich ist es das, weil es dieses Investment in der Raffinerie gibt (Zarubeznjet in Brod, Anm. der Red.). Es gab auch eine potenzielle Investition bei der Gasleitung.

STANDARD: Southstream ist gestorben.

Ivanić: Und es gibt jetzt ein bisschen einen offeneren Markt für landwirtschaftliche Produkte. Es gibt nun einen ziemlich signifikanten Anstieg des Exports von Früchten nach Russland, weil es ja auch diese zusätzlichen emotionalen Beziehungen gibt.

STANDARD: Und weil die EU viele bosnischen Produkte nicht akzeptiert.

Ivanić: Ja.

STANDARD: Also wenn es da eine Änderung geben würde ...

Ivanić: ... wer weiß, was dann wäre.

STANDARD: Zumindest mehr Konkurrenz.

Ivanić: So könnte man das nennen. Offen gesagt: Es gibt eine Übereinkunft zwischen Sarajevo und Ankara über potenziellen Export von Fleisch in die Türkei. Wir haben aber keinen Korridor durch die EU. Und deshalb können wir nicht exportieren. Und wenn wir Flugzeuge verwenden, ist das wirklich teuer. Das ist eine fehlende Möglichkeit für Bosnien. Ich würde meinen Kollegen in Brüssel vorschlagen, ein wenig flexibler zu sein, wenn es um Themen geht, wo Durchschnittsbürger sichtbare und fühlbare Interessen haben. Wenn es etwa darum geht, uns zu erlauben, durch Bulgarien und Griechenland zu fahren, um einen Zugang zum türkischen Markt zu haben.

STANDARD: Aber wieso ist dann der Export nach Russland möglich? Da muss man ja auch durch die EU durch, von hier aus?

Ivanić: Weil es nicht um Fleisch, sondern um Früchte geht. Ich glaube das wird mit russischen Lastwagen gemacht.

STANDARD: Die EU hat Angst vor dem ökonomischen Einfluss Russlands hier. Hat das eine politische Auswirkung?

Ivanić: Es gibt zu viele Mantras in der bosnischen Politik. Und dieses ist eines davon. Wir haben einen Grund, mit Russland zu kooperieren, wegen der Emotionen, aber auch wegen des Marktes, den es dort gibt. Wir haben keine Alternative dazu. Aber am Ende müssen wir in der EU sein. Das ist unser Schicksal. Und dazu gibt es keine Alternative. Also das Spiel zwischen diesen Spielern zu spielen, wenn man so klein ist, ist wirklich schwierig. Es ist schwierig, wenn man zu uns sagt: entweder – oder. Also versuchen wir auf solche Fragen wie Ihre Frage nicht zu viele Antworten zu geben.

STANDARD: Gut, dann frage ich Sie etwas Einfacheres. Das Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen mit der EU wurde niemals ratifiziert. Wann wird das möglich sein, dies zu tun?

Ivanić: Die Voraussetzung der EU ist, dass wir einen Koordinationsmechanismus schaffen, also eine Institution, wo wir ausmachen, wie wir mit der EU umgehen. Alles war bereits vereinbart, aber dann gab es ein Problem mit der kroatischen Position. Die Kroaten haben um Kantone angefragt, und dann war alles blockiert. Wir haben in der Präsidentschaft darüber gesprochen. Und es gibt zwei potenzielle Alternativen, wie man das lösen kann. Die Erste wäre, dass es einen Konsens gibt – wenn der da ist: fein. Aber wenn es keinen Konsens gibt, dann könnten der Vorsitzende des Ministerrats und seine zwei Stellvertreter eine endgültige Lösung machen. Das Problem könnte aber sein, dass es Stellvertreter geben könnte, die nicht direkt von den Leuten gewählt werden würden oder die nicht wirklich von politischen oder territorialen Einheiten unterstützt würden ...

STANDARD: Und das ist also das Anliegen der HDZ ...

Ivanić: Das würde heißen, dass die Präsidentschaft die endgültige Lösung findet, weil wir zumindest die Wähler repräsentieren.

STANDARD: Ist das kein rechtliches Problem, wenn das die Präsidentschaft macht?

Ivanić: Wenn das innerhalb des Koordinationsmechanismus gemacht wird, ist es fein. Da sieht niemand ein Problem.

STANDARD: Das wäre allerdings etwas Neues in der europäischen Politik, dass eine Präsidentschaft eines Landes so etwas entscheidet.

Ivanić: Es ist ein wenig komisch, aber wenn es eine Lösung ist, die zur Entspannung führt, dann wäre es akzeptabel.

STANDARD: Wann soll das passieren?

Ivanić: Nach der Bildung des Ministerrats.

STANDARD: Und wann gibt es den?

Ivanić: In den ersten zehn Tagen des Februars, das ist realistisch. Und dann, im März oder im April, könnten wir diese Lösungen haben.

STANDARD: Was halten Sie davon, dass Vojislav Šešelj nach Serbien zurückgekehrt ist?

Ivanić: Das wird nicht besonders viel Einfluss auf Bosnien haben. Andererseits: Wie viele Jahre war der ohne Entscheidung im Gefängnis, zwölf Jahre? Das ist auch inakzeptabel. Man kann nicht jemanden so lange einsperren, ohne Entscheidung. Also vielleicht war das das einzige logische Resultat davon. Seine Partei ist aber nicht einmal im Parlament.

STANDARD: Als Präsident haben Sie ja auch eine moralische Autorität. In Bosnien beschäftigt viele Menschen der Krieg und wie man sich seiner Opfer erinnert. Was haben Sie vor im Bereich der Versöhnung?

Ivanić: Es wird eine Herausforderung. Wir müssen etwas machen. Und wir schauen, was wir gemeinsam etwas machen können. Aber wir sind erst am Anfang. Es ist keine Priorität, aber wir haben es im Hinterkopf. Und wenn wir einen Wege finden, der nicht kontroversiell ist, etwas, was die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen entspannt, werden wir das tun. Aber wenn wir keine Lösungen finden und wenn es nur einen idealistischen Schritt gibt, der von den Leuten nicht akzeptiert wird, bin ich sofort dagegen. Das wichtigste Ziel ist, die Situation zwischen den Leuten zu entspannen.

STANDARD: Vielleicht geht es ja jetzt einmal darum, die Rhetorik zu beruhigen?

Ivanić: Das ist vielleicht der beste Schwerpunkt. Das Faktum, dass wir den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Repräsentantenhauses ohne eine einzige negative Stimme gewählt haben, entspannt die Situation vielleicht mehr als irgendein schöner Schritt, der wieder irgendwelche Diskussionen entstehen lässt.

STANDARD: Aber dies alles ist auch nur möglich, weil die SDS sich im Wahlkampf ganz anders verhalten hat.

Ivanić: Sogar die SDA hat sich verändert.

STANDARD: Apropos SDA – der Vorsitzende Bakir Izetbegović, Ihr Kollege im Staatspräsidium, hat gesagt, dass das Staatspräsidium ein „starker Motor“ sein sollte. Wie sehen Sie die Rolle des Staatspräsidiums?

Ivanić: Drei starke Politiker sollen Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen – wir müssen das tun. Wir können nicht entkommen, indem wir andere beschuldigen. Ich stimme zu. Wir werden der Motor für – ich hoffe – positive Veränderungen sein.

STANDARD: Und so werden Sie ab jetzt auch von der internationalen Gemeinschaft gesehen?

Ivanić: Ich bin nicht von der internationalen Gemeinschaft ernannt. Die internationale Gemeinschaft hat viele Fehler gemacht. Man muss vorsichtig sein mit der internationalen Gemeinschaft. Das Beste für lokale Spieler ist es nicht, als idealistischer Mitspieler gesehen zu werden, sondern als akzeptabler.

STANDARD: Ich spreche jetzt nicht vom Hohen Repräsentanten, sondern eher von der EU, wenn ich von der internationalen Gemeinschaft spreche.

Ivanić: Wenn das so ist, dann stimme ich Ihnen zu. Ich glaube, wir brauchen glaubwürdige lokale Politiker, die in der Lage sind, mit der Sprache zu sprechen, die für Brüssel verständlich ist und die gleichzeitig in Bosnien ausreichend glaubwürdig sind. Wir müssen eine Balance finden. Wir müssen modern genug sein, um europäisch zu sein, und wir müssen ausreichend traditionell sein, um von unseren Leuten akzeptiert zu werden.

STANDARD: In den vergangenen Jahren gab es Probleme zwischen dem serbischen Repräsentanten im Staatspräsidium und dem OHR. Wird sich das ändern?

Ivanić: Ich werde mich dazu in meinem Buch „Alle meine Hohen Repräsentanten“ äußern, das sehr interessant sein wird.

STANDARD: Sehen Sie Bosnien in zwanzig Jahren in der EU?

Ivanić: In zehn nicht, in 15 vielleicht, in 20 Jahren – hoffe ich. In zehn Jahren nicht nur wegen uns nicht, sondern auch wegen der EU. Dort heißt es: Wir haben jetzt schon ein Problem ohne die – wie soll das erst mit denen werden?

STANDARD: Aber selbst in 20 Jahren sind Sie nicht ganz sicher?

Ivanić: Nicht ganz, aber sagen wir zu 90 Prozent. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 15.12.2014)