Shinzo Abe hat etwas gezockt und hoch gewonnen. Japans Premier hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen seine Mehrheit bestätigt. Doch das lag mehr an der Schwäche der Opposition als an der Beliebtheit der Regierung, wie die schwache Wahlbeteiligung zeigt. Und die echten Herausforderungen warten auf den Premier erst.

Der überraschend eingesetzte Wahlgang war vor allem ein Versuch, das zuletzt ins Stocken geratene Wirtschaftsprogramm, "Abenomics" genannt, wieder zu beleben. Eine lockere Geldpolitik und das höhere Budgetdefizit hatten das Wachstum nur vorübergehend angekurbelt; eine geringe Anhebung der Mehrwertsteuer reichte aus, um die Wirtschaft zurück in eine Rezession zu stürzen.

Nach dem Sieg muss Abe nun seine Prioritäten ändern. Gelddrucken und noch höhere Staatsausgaben, die traditionelle keynesianische Medizin, werden nicht mehr viel nützen. Notwendig ist der "dritte Pfeil" von "Abenomics", nämlich die Deregulierung der vielfach verkrusteten Wirtschaft durch Strukturreformen - in der Landwirtschaft, im Energiesektor, Einzelhandel und Arbeitsmarkt. Denn nur wenn es gelingt, die vielen Wachstumsbremser zu beseitigen, hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt die Chance, ohne eine weitere Ausweitung des riesigen Schuldenberges aus dem Konjunkturtal herauszufinden, in dem sie seit mehr als 20 Jahren feststeckt.

Einiges probiert, zu wenig geschafft

Auf diesem Gebiet hat Abe bisher viele Erwartungen enttäuscht. Er hat zwar einiges probiert, aber zu wenig geschafft. Japans mächtige Interessengruppen stellten sich ihm Schritt für Schritt in den Weg - und fanden die stärksten Verbündeten in Abes Liberaldemokratischer Partei.

Der Wahlsieg könnte dem Premier in diesem Kampf neue Kraft verleihen. Helfen könnte ihm dabei ein Durchbruch bei den Verhandlungen zur Transpazifischen Freihandelszone (TPP) mit den USA, die kommendes Jahr beendet werden sollten. Doch dafür muss er sich mit der Bauernlobby anlegen, die jede Liberalisierung vehement ablehnt. Das erfordert einen politischen Mut, den japanische Regierungschefs bisher selten bewiesen haben.

Abes Situation ähnelt der des italienischen Premiers Matteo Renzi in dessen Kampf mit den Gewerkschaften: Sie sind beide populär, und es wird von ihnen erwartet, dass sie ihr Land aus der Stagnation führen. Doch niemand weiß, ob ihre Bürger die dafür notwendigen schmerzhaften Schritte wirklich mittragen werden.

Freispielen von rechten Kräften

Hoffnung bietet das Wahlergebnis allerdings in der Außenpolitik. Abe war zeit seines Lebens Nationalist und hat auch in den vergangenen beiden Jahren allzu oft chauvinistische Reflexe bedient - und damit Konflikte mit Südkorea und China angeheizt. Doch zuletzt suchte er vor allem gegenüber der regionalen Großmacht eine zaghafte Annäherung. Wenn der LDP-Chef sich von den rechten Kräften in der Partei freispielen kann, dann steigen die Chancen auf eine weitere Entspannung. Auch das könnte der Wirtschaft helfen. (Eric Frey, DER STANDARD, 15.12.2014)