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Straßenszene in Grosny 2005, fotografiert vom tschetschenischen Fotografen Musa Sadulajew.

Foto: AP/Musa Sadulajew

Der russisch-ukrainische Konflikt betrifft nicht nur diese zwei Seiten, sondern, wenn auch indirekt, uns alle. Es stellen sich einige Fragen.

Die erste ist: Was können wir daraus lernen? Zunächst, dass bei so einem Konflikt beide Seiten Opfer sind. Wir sollten auch bedenken, dass dieser Konflikt in unserer Zeit passiert, und nicht etwa im 19. Jahrhundert. Das heißt: die Sicherheit in Europa ist scheinbar schon längst nicht mehr so verlässlich, wie wir es vielleicht bis vor kurzem gedacht hatten.

OSZE als Vermittlerin

Als ein überaus positives Beispiel bei der Lösung solcher Konflikte ist die OSZE zu nennen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verhandelte viel und oft erfolgreich mit der ehemaligen Sowjetunion. Auch während des ersten russisch-tschetschenischen Krieges war die Rolle der OSZE als Vermittlerin sehr groß. Dank Bemühungen der damaligen Mission im Nordkaukasus ist es damals möglich geworden, den Krieg mit Verhandlungen und einem Friedensabkommen zu beenden.

Die OSZE ist eine gute Vermittlerin für die Herstellung von Kooperationen zwischen Ländern unterschiedlicher politischer Systeme und Weltanschauungen. Noch mehr Kooperationen solcher Art sind notwendig, um Frieden in Krisengebieten herzustellen.

Gelungener Konfliktabbau

Ein gutes Beispiel für einen gelungenen Konfliktabbau kann auch die Erfahrung von Ländern wie Frankreich und Deutschland sein, die bis 1945 in mehrere Konflikte und Kriege verwickelt waren, es aber doch schafften, eine gemeinsame wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit aufzubauen.

Vertrauensbildung statt Gewalt

Im Konflikt zwischen Russland und Tschetschenien etwa müssten die Signale von der Gewalt weg zur gegenseitigen Akzeptanz und Vertrauensbildung führen. Doch leider ist es zu erwarten, dass infolge des Aufstandes in Tschetschenien in der vergangenen Woche, als eine Gruppe von Rebellen ein Verlagshaus gestürmt hat und dabei mehrere Polizisten sowie die Rebellen selbst ums Leben gekommen sind, verstärkt Gewalt mit Gegengewalt beantwortet wird, und dass sich diese Tendenzen weiter verstärken.

Die neuesten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen tschetschenischen Rebellen und prorussischer Miliz in Grosny haben bei mir Erinnerungen an den Kriegsanfang geweckt.

Vor 20 Jahren in Tschetschenien

Am 11. Dezember 1994 war ich ein zwölfjähriger Junge. Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Tag. Man sagte mir, dass die Russen von drei Seiten Tschetschenien angreifen würden. Ich machte mir zwar große Sorgen, konnte mir aber nicht vorstellen, dass dieser Konflikt so blutig enden und hunderttausende Tote, davon 42.000 Kinder, verursachen würde.

Tschetschenien war so groß wie die Steiermark und hatte damals mehr als eine Million Einwohner. Der blutige Krieg dauerte fast zwei Jahre und ist im August 1996 mit der Wiedereroberung von Grosny durch tschetschenische Rebellen zu Ende gegangen.

Unbeendeter Konflikt

1996 wurde ein Friedensvertrag zwischen Russland und Tschetschenien geschlossen, nicht zuletzt dank des unschätzbaren Beitrags und Einsatzes der internationalen Gemeinschaft und der OSZE. Leider ist dieser Konflikt bis heute nicht beendet.

Parallelen mit Ostukraine

Welche Parallelen kann man nun zu dem gegenwärtigen Konflikt in der Ostukraine ziehen? Am 26. November 1994 wurde eine Truppe der sogenannten russischen Geheimarmee nach Tschetschenien geschickt, um einen Bürgerkrieg zu inszenieren. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch zunächst. Später marschierten russische Truppen – am 11. Dezember 1994 – in Tschetschenien ein. Die blutigen Kämpfe, die darauf folgten, sind bekannt.

Eine ähnliche Strategie sehen wir auch in der Ukraine heute: Zuerst kamen unbekannte Leute, die man als "höfliche grüne Männchen" bezeichnete, während das offizielle Russland sagte, man liefere keine Waffen an die Rebellen. Tatsächlich sind aber die meisten "Rebellen" in der Ostukraine Offiziere der russischen FSB.

Während Russland einerseits fordert, die Ukraine solle ein föderativer Staat sein, schafft es innerhalb seiner eigenen Grenzen Teile der Autonomie ab. Wie erst kürzlich im Autonomen Kreis der Nenzen in Sibirien. Dort wurden die Gouverneurswahlen aufgehoben.

Kiew solle mit den Rebellen reden, heißt es. Dieser Vorschlag wäre ernst zu nehmen, wenn Russland nicht selbst die Rebellen unterstützen würde. Wäre Russland nicht einmarschiert, könnte die Ukraine den Konflikt mit demokratischen Mitteln lösen.

Was kann der erwachsene Politikwissenschafter nun vorschlagen? Es ist klar, dass militärische Interventionen keine nachhaltige Lösung darstellen. Ich selbst komme ja aus einem Land, wo man die Schrecken der Kriege nur zu gut kennt.

Gespräche und klare Botschaften

Wichtig ist zunächst das Aufrechterhalten des Gesprächs zwischen den Seiten. Es muss weiter Druck auf die russische Regierung ausgeübt werden, aber gleichzeitig sollten Sanktionen keine Nachteile für die Bevölkerung mit sich bringen. Es braucht klare Botschaften an die russische Regierung. Größerer Einfluss der internationalen Gemeinschaft sollte ohne Unterbrechung ausgeübt werden.

Es sollte jedoch nicht so sein, dass Russland und Europa je ihre eigenen Wege gehen, sondern Russland müsste sich dem Weg der EU anschließen. Eines ist klar: Es wird noch viel Anstrengung brauchen, um diese Ziele zu erreichen. (Ruslan Chapkhanov, derStandard.at, 12. Dezember 2014)