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Schlierenzauer kam in diesem Winter bis dato nicht über die Plätze 24, 12 und 15 hinaus. "Keiner ist ein Roboter."

Foto: AP/Schrader

STANDARD: Sehen Sie sich eher in einer interessanten oder in einer beunruhigenden Situation?

Schlierenzauer: Die Situation ist absolut interessant. Die Herausforderung ist, wieder so spielerisch und harmonisch Ski zu springen, wie es schon passiert ist. Ich kann dieser Phase extrem viel abgewinnen, sie ist eine gute Lebensschule, und ich bin mir sicher, dass es sich auszahlen wird.

STANDARD: Und Sie sind tatsächlich kein bisschen beunruhigt?

Schlierenzauer: Kein bisschen. Ich bezeichne mich nach wie vor als jung, weiß wie Erfolg schmeckt und denke nicht mehr nur in Zahlen. Ich möchte mit einer Selbstverständlichkeit gut Ski springen, und ich bin mir sicher, dass mir das wieder gelingen wird.

STANDARD: Wie ungewohnt ist es, zu Saisonbeginn einmal nicht in der Rolle des Gejagten, sondern in jener des Jägers zu sein?

Schlierenzauer: Es ist eine neue Rolle und eine, die man von mir nicht gewohnt ist, die aus meiner Sicht aber absolut dazugehört. Es gibt immer Ups und Downs, keiner ist ein Roboter.

STANDARD: Gab es eine Zeit, in der Erfolge, sagen wir Spitzenplätze, für Sie schon selbstverständlich waren?

Schlierenzauer: Nein, weil ich weiß, wie hart jeder einzelne erarbeitet war.

STANDARD: Hat sich Ihre Stellung in der Mannschaft verändert? Sehen Sie sich eher als Teamplayer denn früher?

Schlierenzauer: Ich habe schon eine neue Position. Ich gehöre zu jenen mit der meisten Erfahrung im Team, das gilt es weiterzugeben. Ich habe Routine, die nötige Ruhe, ich kann mit gutem Beispiel voranmarschieren.

STANDARD: Kann Ihnen umgekehrt auch die Mannschaft helfen?

Schlierenzauer: Ein kompaktes Team ist immer wichtig. Wir spielen mit offenen Karten, arbeiten in die gleiche Richtung und haben alle dieselbe Motivation. Wir pushen uns auf einem sehr harmonischen Level, aber springen muss am Ende jeder für sich.

STANDARD: Wie hat sich der Rücktritt von Thomas Morgenstern ausgewirkt?

Schlierenzauer: Thomas war fürs Team sehr wichtig, er stand punkto Leadership ebenfalls in der Verantwortung. Ich sehe mich in dieser Richtung nun mehr gefordert, sonst hat sich nichts geändert.

STANDARD: Vor knapp einem Jahr ist Thomas Diethart senkrecht herausgekommen. Was braucht es, damit er wieder vorn mitspringt?

Schlierenzauer: Er ist ein junger Sportler, der erstmals die komplette Saison springt, er muss noch Erfahrung sammeln, die Klasse hat er definitiv. Thomas kann ausgezeichnet Ski springen, und wir haben sehr gute Trainer, ich mache mir da keine Sorgen.

STANDARD: Wollen Sie, auf Sicht, wieder genau dorthin kommen, wo Sie waren? Also ein oder "der" Seriensieger werden? Oder stecken Sie sich jetzt andere Ziele?

Schlierenzauer: Ich möchte Skispringen spüren und maximal auskosten können. Ich weiß, wie sich das anfühlt und was dann passiert. Und dieses Gefühl möchte ich wieder haben. Darauf arbeite ich hin.

STANDARD: Stichwort Bindungswechsel: Viele haben ihn vor der Olympiasaison vollzogen, Sie erst danach. Wären Sie, aus heutiger Sicht, lieber früher damit drangewesen?

Schlierenzauer: Dass ich letzte Saison über weite Strecken nicht gut Ski gesprungen bin, hatte viele Gründe. Fakt ist, dass es so nicht weitergehen konnte. Der Bindungswechsel war eine logische Konsequenz, ich war einer der Letzten, die noch mit dem alten Modell gesprungen sind. Das neue bringt den Ski schneller zum Körper, damit schließt das ganze System schneller, das ist ein großer Vorteil. Man muss aber auch sagen, dass die Landung aufgrund der gebogenen Bindungsstäbe wesentlich gefährlicher ist.

STANDARD: Aufgrund der Witterung sind Sie praktisch ohne Schneesprünge in die Saison gestartet, wie stark hängt das noch nach?

Schlierenzauer: Das Problem hatten die meisten anderen auch. Gerade aufgrund des Bindungswechsels hätte ich mich über Schneesprünge gefreut. Jetzt müssen die Trainings vor Ort und die Wettkampfsprünge herhalten, um die letzten Rädchen in die richtige Richtung zu drehen. Es sind Kleinigkeiten, die extrem viel ausmachen, es kann sehr schnell gehen, es kann aber auch noch dauern.

STANDARD: Wie definieren Sie aktuell Ihre Saisonziele? Hat sich die Definition seit Saisonbeginn verändert?

Schlierenzauer: Nein, die Ziele sind die gleichen geblieben. Es warten viele interessante Wettkämpfe, und natürlich ist es mein Ziel, vorn mitzuspringen.

STANDARD: Gibt es, was die tägliche Arbeit betrifft, so etwas wie einen Trainereffekt? Was hat sich unter und mit Heinz Kuttin verändert?

Schlierenzauer: Die Unterschiede im Alltag sind nicht allzu groß, die Herangehensweise ist aber logischerweise anders. Unterschiedliche Charaktere haben unterschiedliche Zugänge. Heinz hat ganz klare Vorstellungen, er spricht die Dinge offen an und hat einen sehr professionellen Zugang zu Mensch und Materie. Er hat frischen Schwung in die Arbeit und die Truppe gebracht, jeder gibt, und jeder nimmt.

STANDARD: Was kann, soll und wird in Lillehammer geschehen?

Schlierenzauer: Lillehammer ist eine meiner Lieblingsschanzen, die Umgebung ist traumhaft schön. Wenn der nächste Schritt gelingt, wäre es fein, wenn nicht, folgt er woanders. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 5.12.2014)