Der Kreml hat South Stream gestoppt, eines der wichtigsten Gas-Infrastrukturprojekte und Kernpunkt der russischen Pipeline-Diplomatie. Dies ist ein Erfolg europäischer Energie-Außenpolitik, und dieser ist in Brüssel zu verorten. Nun ist klar: Europas Antwort auf Russlands Energie-Geopolitik liegt in der Binnenmarktregulierung.

South Stream, die Pipeline durchs Schwarze Meer mit 63 Milliarden Kubikmeter Liefervermögen, war Russlands Kernprojekt, um die Ukraine als Transitland zu umgehen, durch das gegenwärtig noch etwa 50 Prozent aller russischer Gasexporte in den Westen fließen. Zusammen mit Nord Stream, der Gasröhre in der Ostsee, sollte die Pipeline Russlands wichtigsten Exportmarkt sichern - Europa. Der europäische Gasmarkt wird für Jahre die Haupteinnahmequelle Gasproms bleiben. Zwar stagniert die Nachfrage, gleichzeitig aber sinkt die heimische Produktion Europas - unterm Strich also ein wachsender Markt, und einer mit hohen Margen.

Der Kreml setzte daher alles daran, South Stream zu realisieren. Er lockte mit speziellen Lieferverträgen und Preisen und konnte mit seiner Politik des "Divide et impera" EU-Länder wie Bulgarien, Ungarn oder Italien erfolgreich gegen europäische Projekte wie die Nabucco-Pipeline positionieren. Die EU schien machtlos gegen diese Pipline-Diplomatie. Zwar wurde vielfach gefordert, Europa solle in seiner Energie-Außenpolitik mit einer Stimme sprechen. Realisieren ließ sich dies aber nicht. South Stream triumphierte über Nabucco, die Sicht des Kreml schien sich zu bestätigen: Energie ist Geopolitik, und Europa war dem nicht gewachsen.

Starkes Brüssel

Warum also nun der Schwenk? Der Grund ist sicherlich nicht in den europäischen Hauptstädten zu suchen. Sofia, Rom oder Budapest sind weiterhin klar auf pro-russischem Kurs. Vielmehr ist es ein Erfolg der EU-Kommission, und ihrer Liberalisierungsstrategie. Die EU implementierte 2009 das dritte Energiepaket. Dieses schreibt vor, dass ein Pipeline-Betreiber nicht auch das Gas verkaufen darf, das durch seine Röhre strömt. Mit diesem Grundsatz soll mehr Wettbewerb in den europäischen Gasmarkt gebracht werden. Gasexporteure können auf dem europäischen Binnenmarkt verkaufen, solange sie nach dessen Regeln spielen. Über Letztere wachen nicht nationale Regierungen, sondern Brüsseler Bürokraten. Auch South Stream kann nach diesen Regeln betrieben werden - nur nicht von Gasprom. Damit allerdings ist das Projekt für den Kreml letztendlich wertlos.

Mit Beharrlichkeit und Verordnungen hat Brüssel also das geschafft, was Europas Außenpolitiker nicht vermochten: Europa eine konsistente Strategie in der Energiepolitik zu geben. Diese beruht auf Liberalisierung und Wettbewerb und wendet sich gegen Monopole, intern wie extern.

Putin zeigte in der Konsequenz Realitätssinn und stoppte South Stream. Zeit also, auch die Diskussion über eine europäische Energie-Außenpolitik den Realitäten anzupassen. Der Werkzeugkasten der Brüsseler Behörde ist zwar klein, denn er beruht auf schlichter Regulierung. Zugleich aber entfaltet er eine enorme Außenwirkung, da der europäische Gasmarkt der weltweite größte Importmarkt ist - und zugleich einer der attraktivsten.

Statt auf eine Energie-Union nach dem Muster eines Importmonopols zu setzen, wäre es angebracht, auf die Kraft des Binnenmarktes zu vertrauen und die EU-Kommission weiter zu stärken. Als Hüterin der Verträge ist sie legitimiert und in der Lage, Wettbewerbsregeln im Gasmarkt zu setzen und diesen auch Geltung zu verschaffen. Dies betrifft direkt das Produkt, das Gasprom verkaufen will, und beeindruckt den Kreml daher deutlich mehr als alle Bemühungen der hohen Diplomatie. (Andreas Goldthau, DER STANDARD, 5.12.2014)