Wien - Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hat der Debatte über die Steuerreform einen neuen Spin gegeben. Er bestätigte am Mittwoch wie berichtet, dass in der Steuerarbeitsgruppe über eine teilweise Anhebung der Mehrwertsteuer diskutiert werde.
In der SPÖ wertete man das Vorpreschen am Donnerstag hinter vorgehaltener Hand als "verstecktes Foul" des Finanzministers. Schließlich wurde eigentlich Stillschweigen über die Tätigkeit der Expertenarbeitsgruppe vereinbart. Gemunkelt wurde auch bereits, dass es Schelling möglicherweise darum gehe, die Pläne von vornherein abzudrehen.
Hoteliers sehen "massiven Angriff"
Der Aufschrei möglicherweise Betroffener folgte jedenfalls prompt: Die IG Autoren, der Buchhandel, Theatervertreter, das Hotel- und Gastgewerbe sowie die Verkehrswirtschaft wollen keine Verschlechterungen in Kauf nehmen. Die Hoteliervereinigung sprach gar von einem "massiven Angriff" und dem drohenden Verlust von 200.000 Jobs.
Auch die Interpretation der Überlegungen geht auseinander. Während man im Finanzministerium betont, die Mehrwertsteuerideen seien von der SPÖ gekommen, heißt es bei den Roten, die Arbeitsgruppe habe lediglich den Auftrag bekommen, alle Steuerausnahmen zu durchforsten, es handle sich daher um keine "SPÖ-Forderung" im engeren Sinn.
Drei Steuersätze
DER STANDARD nimmt die Debatte zum Anlass, das System der Mehrwertsteuer näher zu beleuchten. Die meisten Produkte und Leistungen sind in Österreich vom 20-Prozent-Satz abgedeckt. Daneben gibt es noch zwei ermäßigte Steuersätze:
- Zwölf Prozent: Zwölf Prozent fallen beim Verkauf von Wein ab Hof an. Es handelt sich dabei um eine Sonderregelung für die Landwirte.
- Zehn Prozent: Vom Zehn-Prozent-Satz sind diverse Leistungen betroffen: Er gilt unter anderem für Lebensmittel, Mieten, Medikamente, Bücher, Zeitungen, Blumen, aber beispielsweise auch für Umsätze von Künstlern, den Betrieb von Schwimmbädern, Filmvorführungen, Zirkusvorführungen und die "Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln aller Art".
Die Liste an Ausnahmen ist historisch gewachsen. Sollte die Regierung tatsächlich Änderungen vornehmen wollen, müsste sie dabei EU-rechtliche Vorgaben berücksichtigen. Eine Unionsrichtlinie sieht nämlich vor, dass es maximal zwei ermäßigte Steuersätze geben darf.
Möchte man also beispielsweise Bücher oder Blumen auf 15 Prozent anheben, müsste auch der Zwölf-Prozent-Satz angehoben (auf 15) oder gesenkt (auf zehn) werden.
"Müssten von allen guten Geistern verlassen sein"
An welchen Schrauben genau gedreht wird, ist offenbar auch noch alles andere als geklärt. ÖGB-Präsident Erich Foglar beeilte sich am Donnerstag zu betonen, dass man einer generellen Erhöhung der Mehrwertsteuer "sicher nicht zustimmen" werde, ebenso einer Anhebung bei Mieten und Lebensmitteln. Reden will er über den Ab-Hof-Verkauf von Wein, über "Theaterkarten, Blumen oder Bücher" sei hingegen nie gesprochen worden.
Auch in SPÖ-Regierungskreisen wird betont, dass eine höhere Steuer bei Mieten und Lebensmitteln auszuschließen sei. "Da müssten wir von allen guten Geistern verlassen sein." Freilich hatte auch Schelling klargestellt, nicht an der Begünstigung für Lebensmittel und Mieten rütteln zu wollen.
500 Millionen Euro zu holen
Wie viel Geld wäre nun zu holen? Zwar werden pro Jahr rund 25 Milliarden an Umsatzsteuer eingenommen, wenn man aber nur kleinere Ausnahmen streicht - wie jetzt kolportiert - dürfe man sich keine allzu großen Hoffnungen machen, heißt es. Wie berichtet, haben die rot-schwarzen Verhandler insgesamt erst 500 Millionen Euro durch das Streichen von Ausnahmen im Steuersystem ausgemacht. Und dabei handle es sich um Ausnahmen vom Einkommen- und Mehrwertsteuerbereich. Zur Erinnerung: Die Steuerreform soll ein Volumen von zumindest fünf Milliarden haben, die SPÖ drängt sogar auf eine sechste Milliarde.
Mittlerweile seien sogar einige Ausnahmen, über deren Streichung schon Konsens herrschte, wieder zu Dissensthemen erklärt worden, heißt es. So legte die ÖVP ein Veto gegen das Streichen der steuerlichen Bildungungsprämie ein, die Arbeitgeber lukrieren können, wenn sie die Weiterbildung von Mitarbeitern finanzieren. Daraufhin habe auch die SPÖ bereits versprochene Zusagen wieder zurückgenommen.
Ins Spiel gebracht wird – zumindest von SP-Seite – noch eine andere Variante: Man könnte die Mehrwertsteuer nicht nur zur Gegenfinanzierung verwenden (durch höhere Sätze), sondern auch zur Entlastung. Wenn man beispielsweise den Steuersatz bei den Lebensmitteln senke, könnte ein Teil der Steuerreform über diese Schiene erfolgen. Davon würden Niedrigverdiener überdurchschnittlich profitieren, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Freilich würde dann die Entlastung bei der Einkommensteuer geringer ausfallen. Und das Problem der Gegenfinanzierung wäre naturgemäß nicht gelöst. (Günther Oswald, derStandard.at, 4.12.2014)