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Die riesigen Steinstatuen auf der Osterinsel verhießen nichts Gutes: Die Kultur ging an der Zerstörung der Ressourcen zugrunde und mündete im Kannibalismus - die Insel dient oft als Metapher für die heutige Situation auf der Erde.

Foto: Reuters

Wien/Klagenfurt - Es scheint wie ein ständiger Teufelskreis. Kaum versucht man, eine bessere Lösung für ein Problem zu finden, tut sich ein Rattenschwanz an neuen Problemen auf. Biosprit zum Beispiel: Der Treibstoff aus Energiepflanzen wie Mais, Raps und Zuckerrohr sollte eigentlich die Ölabhängigkeit mindern und für eine positive Ökobilanz sorgen - doch dann stellte sich heraus, dass die so bebauten Flächen in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen und folgenreiche Schwankungen bei Lebensmittelpreisen auslösen.

Oder Atomstrom, der ursprünglich schmutzige Energie aus Kohlekraftwerken ersetzen sollte. Die fatalen Folgen sind bekannt. Oder hochgezüchteter Weizen, der zwar ertragreich war, aber zu schwer für die Halme. Als man die Pflanzen so züchtete, dass die Halme niedriger wuchsen, lagen die Ähren zu nah am Boden und schimmelten schnell. Die Folge: Mehr Pestizide waren nötig.

Arno Bammé hat eine Menge Beispiele wie diese parat. "Probleme werden in unserer Fortschrittsgesellschaft nur gelöst, indem neue geschaffen werden. Es findet eigentlich nur eine Problemverschiebung statt." Bammé ist Soziologe und auch nach seiner Emeritierung noch viel beschäftigt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung der Universität Klagenfurt. Außerdem ist er Teil des illustren Kreises rund um den deutschen Kulturwissenschafter und Aktionskünstler Bazon Brock, der in Berlin das in der Denkerei beheimatete "Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen" betreibt - mit prominenten Mitstreitern wie Peter Sloterdijk und Peter Weibel.

Naturgewalt Mensch

Das Bevölkerungswachstum, die Finanzmarktkrise, Umweltkatastrophen und Klimawandel, die Kernkraft, neue Terrororganisationen à la "IS", unkontrollierbar scheinende Infektionskrankheiten wie Ebola - der heutigen Gesellschaft scheinen Probleme immer mehr über den Kopf zu wachsen. Und das, obwohl sie zu einem Gutteil hausgemacht sind. Wir befinden uns mitten drin im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem die Menschheit das Ruder über die Naturgewalt übernommen hat und zu einem nicht mehr zu leugnenden Einflussfaktor nicht nur auf Biologie, Geologie und Erdatmosphäre geworden ist, sondern mit ihren Technologien auch die Gesellschaft an sich tiefgreifend verändert.

Steuern wir also auf eine unabwendbare Katastrophe zu? "Es gibt unlösbare Probleme, die in der Weise, wie wir heute Politik, Wirtschaft und Wissenschaft betreiben, begründet sind", sagt Bammé. "Das Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen will dem Fortschrittsoptimismus der Politik, die sagt, dass wir alles im Griff haben, etwas entgegensetzen und analysieren, worin die Unlösbarkeit liegt - um so an Änderungen mitzuwirken."

Ökodesaster auf der Osterinsel

Jede Gesellschaft erzeuge über kurz oder lang Probleme, die innerhalb des jeweiligen Systems an ihre Grenzen stießen, legt Bammé in seinem Beitrag zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband "Unlösbare Probleme - Warum Gesellschaften kollabieren"
(Profil-Verlag 2014) dar, der auf einem Symposium der Denkerei im Vorjahr beruht. Als eindrucksvolles Beispiel führt er die Osterinsel an: Der Transport und die Aufrichtung immer größerer Steinstatuen mithilfe von Holzstämmen verschlang sämtliche Waldressourcen. Die Folgen waren ein ökologisches Desaster, eine Hungersnot und letztlich der Untergang der Kultur im Kannibalismus. "Man kann das als Metapher für die heutige Situation auf dem Raumschiff Erde sehen", sagt Bammé. "Wir sind heute in derselben Situation. Wir haben nur diese eine Erde, es gibt keinen Ausweg."

In der Geschichte habe sich gezeigt, dass auch eine Konsolidierung nach der Krise möglich ist - wie etwa der demokratische Wandel im Zuge der Französischen Revolution. Bezogen auf unsere derzeitige Weltgesellschaft spräche aber alles für ein Scheitern, wie Bammé in dem ebenfalls aus einer Denkerei-Tagung hervorgegangenen Buch "Schöpfer der zweiten Natur - Der Mensch im Anthropozän" (Metropolis 2014) schildert: Angesichts grenzüberschreitender Probleme wie dem Klimawandel fehle eine Weltregierung, die das obsolet gewordene Denken in Nationen ablöse, sagt Bammé. Auch gebe es innerhalb einer von kurzen Wahlzyklen abhängigen Politik keine Zeit für langfristige Lösungsansätze.

Überholtes Weltbild

Hinzu komme, dass die sozialen Kosten der Marktwirtschaft - also die Schäden, die etwa für Umwelt und Gesundheit entstehen - nicht in der Warenproduktion einkalkuliert werden. Grundsätzlich hänge man an einem völlig überholten Weltbild, das noch immer auf einer strikten Trennung von Natur und Gesellschaft beruhe.

Außerdem kritisiert Bammé den "Tunnelblick der traditionellen Wissenschaft", die nicht imstande sei, Probleme außerhalb ihres Elfenbeinturms zu lösen. "Die Wissenschaft muss von einer Repräsentations- zu einer Interventionswissenschaft werden", plädiert Bammé dafür, dass die Sozialwissenschaften mehr gesellschaftspolitisches Engagement zeigen. Der Soziologe zitiert diesbezüglich die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, die es so ausdrückte: "Die Gesellschaft hat Probleme, die Universität hat Fakultäten."

Sozialer Fortschritt

Nowotny ist auch federführendes Mitglied des jüngst gegründeten "International Panel on Social Progress", das unter der Leitung des indischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen zahlreiche prominente Wissenschafter versammelt. Bis 2017 will sich das Panel den großen Herausforderungen der Menschheit und insbesondere der Frage des sozialen Fortschritts widmen. "Dahinter steht das Gefühl, dass wir in einer permanenten Krise stecken", sagt Nowotny. "Wir wollen sichtbar machen, was die Sozialwissenschaften dazu zu sagen haben." Es gelte, den Sozialwissenschaften, die im Gegensatz zu den Naturwissenschaften noch immer nationalstaatlich verortet seien, eine global vernetzte Stimme zu geben. "Wir wollen eine Plattform schaffen für Arbeiten, die sonst in Fachjournalen verschwinden", sagt Nowotny.

Lösungsansätze für die Zukunft

Anfang Jänner werden in Paris erstmals hunderte Experten zusammenkommen, um aus der schier überbordenden Themenbreite konkrete Probleme festzumachen - die Palette umfasst Demokratie, Armut und Ungleichheit, Ressourcen, Märkte und Finanzen, die Zukunft der Arbeit, Gesundheits-, Bildungs- und Genderfragen sowie Religion. Am Ende des Prozesses soll ein umfassender Bericht, ähnlich dem Klimabericht, Analysen und Stellungnahmen, aber auch Lösungsansätze präsentieren.

Wie das Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen setzt auch das Panel auf eine Umwälzung der ökonomischen, sozialen und politischen Institutionen. Angetrieben werden soll diese nicht nur durch akademisches Wissen, sondern auch mithilfe von sozialen Bewegungen und lokalen Communitys. Eben weil die globalen Probleme menschengemacht sind, könne es Lösungen geben, räumt auch Arno Bammé ein - selbst wenn es manchmal besser sei, sich vom Machbarkeitswahn zu verabschieden. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 3.12.2014)