Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf (v. li.) haben ihre Mütter im Rücken: im echten Leben wie in der Performance "Frühlingsopfer", die von 4. bis 6. Dezember in Wien läuft.

Foto: Dorothea Tuch

Passt Papas 16.000 Bücher umfassende Bibliothek, sollte dieser jemals pflegebedürftig werden und bei seinem Kind unterkommen müssen, in die Prenzlauer-Berg-Wohnung der Künstler-Tochter? Leider nein.

Es sind bourgeoise Eltern-Kind-Probleme, mit denen sich die deutsche Performancegruppe She She Pop in ihren letzten beiden Arbeiten beschäftigt hat: In Testament, einem grandiosen, auf King Lear-Motive rekurrierenden Stück (auch König Lear will ja mit einer Hundertschaft an Gefolgsleuten bei seiner Tochter unterkommen), wurde unter schauspielerischer Mitwirkung der Väter der Künstlerinnen der sogenannte Generationenvertrag schonungslos auf offener Bühne zerpflückt. Im Folgestück Frühlingsopfer sind nun die Mütter dran.

Frühlingsopfer, entstanden in Koproduktion mit dem Wiener Brut-Theater, machte auf seiner Tour jüngst beim Prager Festival des deutschsprachigen Theaters halt. Die Besetzung wechselt innerhalb der Gruppe sachte, da das Stück ja nicht von konkreten, sondern exemplarischen Mutter-Kind-Beziehungen erzählen will.

Man könnte meinen, um familiären Frieden zu wahren, haben nun auch die Mütter ihren Auftritt bekommen. Vielleicht kommen irgendwann noch die Geschwister oder die eigenen Kinder auf den Theaterverhandlungstisch des Ensembles. Jedenfalls so zwingend und elaboriert wie das auch zum Berliner Theatertreffen eingeladene Testament ist der Mütter-Abend nicht. Er ist inhaltlich lose, ein wenig banal.

Opfern auf hohem Niveau

She She Pop verbinden Igor Strawinskys Ballettklassiker Le sacre du printemps ("Frühlingsopfer") mit jenen Opfern, die die Mütter der Nachkriegsgeneration (noch) zu erbringen bereit waren: Eine hat ihr künstlerisches Talent ihrem Ehemann zuliebe unter den Scheffel gestellt; eine andere hat ihren Doktortitel zwanzig Jahre lang geheim gehalten, weil sie ein anderes Selbstbild hatte. Opfern auf hohem Niveau.

Die Mütter - und das ist ein wesentlicher Nachteil dieser Produktion - sind diesmal nur auf Videobildern anwesend. Das schafft weniger Unmittelbarkeit, macht die Mütter wehrlos und das Ganze weniger spannend. Auf vier Leinwandbahnen (wie ein Triptychon, nur eben vierteilig) legen sie, jeweils groß projiziert, ihre Bekenntnisse ab. Sie präsentieren sich, agieren barfüßig, um eine gewisse tänzerische Nähe zu Strawinsky herzustellen.

Mit diesen Leinwandbildern interagieren die Kinder/Schauspieler. Sie reichen einander beispielsweise von der Leinwand in den Theatersaal den Joint weiter oder Obst. Oder stoßen - als Distanzbekundung - die Leinwandgestalten von sich weg, sodass sich in der Stoffbewegung deren Gesichter verzerren. Diese schönen Effekte sind aber nur Details in abstrusen "Ritualen", die undurchschaubar bleiben und manchmal aussehen, als würden Seminaristen nachtwandlerisch turnen.

Auch der Bezug zu Le sacre du printemps scheint wenig zwingend, geht es in dem vielstrapazierten Ballettklassiker doch um eine auserwählte Jungfrau, jenes Frühlingsopfer, das sich zu Tode tanzt. Die Vorlage ist zumindest weit hergeholt; man kann mit dem Titel zumindest bequem trittbrettfahren. Soll aber nicht heißen, der Abend biete zu wenig Stoff für anregende Gespräche über Generationenkonflikte. Seid mutig, nehmt die Mütter mit! (Margarete Affenzeller aus Prag, DER STANDARD, 2.12.2014)