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Der Brand in einer Fabrik in Prato vor einem Jahr kostete sieben Chinesen das Leben.

Foto: EPA/CLAUDIO GIOVANNINI

Nicht in italienischen, sondern in chinesischen Lettern prangt die Aufschrift "Banca Popolare di Vicenza" an der Bankfiliale in Prato. In der Via Fabio Filzi in der toskanischen Kleinstadt Prato sieht man mehr chinesische denn italienische Geschäftsnamen. Hier wohnen bis zu 20.000 öffentlich gemeldete und illegal eingeschleuste Chinesen.

Für die Filiale der Banco Popolare di Vicenza ist ihre "chinesische" Filiale mit 6000 chinesischen Bankkonten und beachtlichen Geldtransfers von und nach China eine Goldgrube. Die Bankangestellten sind Chinesen oder sprechen Chinesisch, die Kunden sind ausschließlich chinesische Geschäftsleute und Familien. Einzig die Architektur beweist, dass wir uns hier nicht in der chinesischen Provinz, sondern in der Toskana befinden.

Sterbende Textilbranche

"Wir bieten der größten Herausforderung in der Geschichte unserer Stadt die Stirn. Wir sind dabei, ein Modell für Integration zu werden." Der Bürgermeister von Prato, Matteo Biffoni, nimmt kein Blatt vor den Mund. Vor knapp einem Jahr starben in der toskanischen Kleinstadt bei einem Fabriksbrand sieben Chinesen: Mangelnde Sicherheitsmaßnahmen, illegale Arbeiter, Verhältnisse, die an Bangladesch erinnerten und jeglichem europäischen Arbeitsrecht widersprachen, kamen hier zutage. Denn in Prato, dem ehemaligen Textilzentrum Europas, wo die Textilbranche einst 46.000 Beschäftigte zählte, sind inzwischen nur mehr 16.000 Arbeitnehmer in der Stoffherstellung tätig.

Parallel zur darbenden Textilbranche hat sich hier ein blühender Industriezweig, die "pronta moda", eine dem jüngsten modischen Bedarf angepasste Bekleidungsindustrie, entwickelt. Diese ist jedoch nicht in italienischer Hand, sondern wird von den Chinesen dominiert. Die einstigen chinesischen Textilarbeiter haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren zu Kleinunternehmern entwickelt. Inzwischen haben bereits 15.000 Chinesen in der 190.000 Einwohner zählenden Stadt ihre offizielle Residenz.

Laut dem Bürgermeister muss die Zahl noch um weitere "mindestens 12.000 illegale Einwanderer" ergänzt werden. In der Handelskammer von Prato sind 4800 chinesische Unternehmen gemeldet. Doch die Anzahl der "Untergrund-Kleiderfabriken" steht in den Sternen. "Die Firmen hier haben eine hohe Volatilität, rund ein Fünftel hat eine Überlebensdauer von nur 18 Monaten", meinte der Präsident der Prateser Handelskammer, Luca Giusti.

Schärfere Kontrollen

Seit einem Jahr kristallisiert eine Kooperation der chinesischen Firmen mit den Behörden heraus. Zwar steckt die Zusammenarbeit noch in den Kinderschuhen, doch der erst seit wenigen Monaten amtierende Bürgermeister zeigt sich zuversichtlich. Denn nach dem Brandunglück sind nicht nur die chinesischen Arbeitgeber vorsichtiger, sondern auch die Kontrollen schärfer geworden.

Allen voran führt die Gesundheitsbehörde ASL mindestens zehn Kontrollen pro Tag durch, bestätigt Bürgermeister Biffoni, Fußballfreund des derzeitigen Regierungschefs Matteo Renzi. "Wir müssen die Integration vorantreiben und andere Kulturen verstehen. Dass die Chinesen bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten und eine Vorliebe haben, ihre Wohnungen mit der Fabrik zu verbinden, ist eine Tatsache. Diese müssen wir akzeptieren. Aufgabe ist es, die Sicherheitsbedingungen und das hygienische Umfeld zu verbessern." Angeblich fokussiert die Regierung Renzi auf das "Integrationsmodell Prato": Zweisprachige Kindergärten und chinesischer Unterricht in den Schulen sollen dazu führen, dass sich die junge Generation besser integriert.

Angebrachter Zweckoptimismus

Der chinesische Unternehmer Zhang Li, allgemein Gabriele genannt, ist bereits seit 20 Jahren in der Branche tätig. Er beschäftigt in seiner Firma Confezioni Luma fünf italienische und 15 chinesische Mitarbeiter. Mit einem Umsatz von sieben Millionen Euro zählt er zu den Großen der Branche. "Wir müssen Regeln einhalten, sonst ist unser Wachstum gefährdet" meint Gabriele. So wie er haben in den letzten Wochen 30 Unternehmen einen sogenannten Vertrauenspakt mit den Behörden geschlossen.

"Die Haltung hat sich geändert, der Trend zur Legalität nimmt zu. Denn die Unternehmer wollen länger als 18 Monate am Standort Prato verbleiben" begründet Gabriele den Trend. Zweckoptimismus ist hier zweifellos angebracht. Denn immer noch stellen hunderte von chinesischen Firmen ihre Luxusklamotten, primär für den Auslandsmarkt bestimmt, auf nicht legale Weise her. Allerdings ist die Schwarzwirtschaft kein rein chinesisches, sondern auch ein italienisches Phänomen. (Thesy Kness-Bastaroli aus Prato, derStandard.at, 1.12.2014)